Europa gibt nicht nur Geld für Gitter

Die EU bemüht sich um eine abgestufte Reaktion: Rückführung, Lager in den Transitländern, aber auch dauerhafte Aufnahme mancher Flüchtlinge

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Theoretisch bestreitet in Brüssel niemand, dass die Europäische Union eine gemeinsame Antwort auf die Flüchtlingstragödie finden muss. Praktisch allerdings gerät diese Erkenntnis immer wieder mit nationalen Interessen in Konflikt. Die Szenen, die sich in den vergangenen Tagen in Ceuta und Melilla abspielten, sind einerseits Ausdruck davon, wie hilflos die Gemeinschaft dem Ansturm gegenübersteht, den das Nord-Süd-Gefälle erzeugt. Andererseits sind sie auch Resultat eines ungelösten Gebietskonflikts zwischen Spanien und Marokko. Marokko will die Enklaven zurückhaben – die unerträgliche Lage an den Grenzzäunen könnte diese Entwicklung beschleunigen.

Aus marokkanischer Sicht ist es logisch, dass einstweilen der EU die Aufgabe zufällt, ihre Außengrenze auf marokkanischem Territorium besser zu schützen. In den kommenden Tagen will sich eine Expertengruppe der im Aufbau befindlichen EU-Grenzagentur vor Ort ein Bild machen. Justizkommissar Franco Frattini kündigte am Dienstag in Brüssel an, dass Mittel aus dem Förderprogramm Meda für die Mittelmeerstaaten freigegeben werden. 40 Millionen waren eingeplant, um Spanien besser vor Flüchtlingen aus Marokko abzuschotten. Ein Teil des Geldes soll nun in Ceuta und Melilla in Grenzzäune investiert werden.

Am 12. und 13. Oktober werden die Innen- und Justizminister der EU-Mitgliedsstaaten erneut beraten. Ein Kommissionsvorschlag für abgestimmte Maßnahmen für Einwanderung und Asyl liegt seit 1. September vor. Doch die Abwägung zwischen humanitärer Hilfe und nötiger Abschottung fällt in den Mitgliedsländern je nach Rechtstradition und Kultur verschieden aus. Auch die geografische Lage spielt eine Rolle. Ein Mittelmeeranrainer wie Italien oder Spanien mit einer langen Küste bewertet die Frage anders als Schweden oder die Niederlande.

Doch allmählich setzt sich bei allen EU-Ländern die Erkenntnis durch, dass Hilfsprogramme vor Ort die einzige Chance sind, die dramatischen Zustände auf den Transitrouten und am Mittelmeer zu mildern. Mitte Juli besuchte eine EU-Expertengruppe Libyen, um die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit auszuloten. Die libyschen Beamten sollen bei Aufbau und Organisation von Aufnahmelagern finanziell und durch Ausbildungsmaßnahmen unterstützt werden. Das UN-Flüchtlingskommissariat soll Zugang zu den Lagern erhalten.

Mittelfristig will die EU selbst in Durchgangsländern möglichst nahe an den Herkunftsregionen so genannte Schutzkapazitäten bereitstellen. Dieses Konzept wird vom UNHCR positiv bewertet. Pilotprojekte in der Ukraine, in Moldawien, Weißrussland sowie in Tansania sind in Vorbereitung. Flüchtlinge sollen dort Unterschlupf finden und beraten werden. Wo möglich, sollen sie in ihre Heimat zurückkehren. Andernfalls will die EU Neuansiedlungen in Transitländern fördern. Die EU-Mitgliedsstaaten sollen ebenfalls auf freiwilliger Basis und von EU-Mitteln unterstützt Flüchtlinge dauerhaft aufnehmen.

Diejenigen Flüchtlinge, die sich dennoch nach Europa durchschlagen, sollen nach den Plänen der EU-Kommission künftig nach einheitlichen Regeln abgeschoben werden. Zunächst muss ihnen die Rückführungsentscheidung mitgeteilt werden. Verlassen sie die EU nicht freiwillig, folgt die Abschiebeanordnung. Abschiebehaft darf nicht länger als sechs Monate dauern. Das Wiedereinreiseverbot würde künftig für die gesamte Europäische Union gelten.