Kommentar Van der Bellens Wahlerfolg: Trügerische Erleichterung

Der Kraftakt, gegen die Rechten zu gewinnen, war groß. Er sichert den Demokraten keine breite Zustimmung. Das Wahlergebnis bleibt beunruhigend.

Menschen freuen sich und umarmen sich, einer hält ein Schild „Gott sei Dank!“

Große Erleichterung, aber kein Grund, sich nicht weiterhin zu sorgen Foto: dpa

Wie groß ist die Erleichterung! Entgegen den meisten Umfragen zieht nun also doch nicht Norbert Hofer in die Wiener Hofburg ein. Selbstverständlich ist das höchst erfreulich. Allerdings sollte nach dem ersten Jubel jetzt das Nachdenken einsetzen. Denn das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl in Österreich bleibt trotz des Sieges Alexander Van der Bellens ein höchst beunruhigendes. Was für ein Kraftakt war nötig, damit sich eine Mehrheit der ÖsterreicherInnen doch nicht für einen unerträglichen rechtsradikalen Hetzer, Lügner und Demagogen entschieden hat!

Van der Bellens Unterstützerkreis umfasste das gesamte demokratische Spektrum von den liberalen NEOS bis zur KPÖ, der Kommunistischen Partei Österreichs. SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern unterstützte ihn ebenso wie ÖVP-Parteichef Reinhold Mitterlehner. Mehr als 130 SPÖ- und ÖVP-Bürgermeister warfen sich für ihn in die Bresche. Unzählige Künstler und Intellektuelle trommelten für den liberalen Grünen – vom Oscar-Preisträger Christoph Waltz über Hitler-Darsteller Tobias Moretti bis zur Bergsteigerlegende Reinhold Messner wollte niemand fehlen. Würde er noch leben, hätte wahrscheinlich selbst Mozart für Van der Bellens Wahl geworben.

Und trotzdem gab es keinen Erdrutschsieg. Das wäre vor einiger Zeit noch anders gewesen. Von der Grundkonstellation erinnerte der Kampf um das österreichische Bundespräsidentenamt an die Präsidentschaftswahl in Frankreich 2002. Auch damals war das Erschrecken groß, als es der rechtsextreme Jean-Marie Le Pen überraschend in die Stichwahl gegen Jacques Chirac geschafft hatte.

So wie sich seinerzeit das demokratische Frankreich um den gaullistischen Kandidaten scharte, sammelten sich diesmal die Demokraten in Österreich hinter Van der Bellen. Damit enden allerdings schon die Gemeinsamkeiten. Denn während Chirac aufgrund der breiten Unterstützung seinen Kontrahenten von rechts außen deklassieren konnte, brandet jetzt bereits ausgelassener Jubel darüber auf, dass es Van der Bellen überhaupt gelang, den Kandidaten der FPÖ zu schlagen.

Daran lässt sich ablesen, wie sich die Zeiten in Europa verändert haben. Wenn im kommenden Frühjahr Jean-Marie Le Pens Tochter Marine zum Sturm auf den Élysée-Palast bläst, werden die Demokraten erneut zittern müssen. Zur Entwarnung besteht kein Anlass.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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