Wider die Dämonisierung

THEATER „Mensch, Puppe!“ zeigt den Fall der Mörderin Gesche Gottfried als beklemmendes Sittengemälde

Diese Fiktion kommt der Wahrheit näher als viele Schauermärchen

Bremen im Jahr 1831: Die Reise von Bremerhaven aus, auf der Weser flussaufwärts, dauert drei Tage, und dass eine Frau ganz alleine reist, ist nicht an der Tagesordnung. Wenn sie dann noch als Schriftstellerin ihren Lebensunterhalt bestreitet, ist das geradezu unerhört. Aber Bremen gilt als liberal, da wird man wohl für einen Reisebericht recherchieren können, den der berühmte Verleger Brockhaus in Auftrag gab. Doch schon ein Zimmer zu bekommen, ist schwierig. Weil in diesen Tagen die Stadt voller Schaulustiger ist, die die Hinrichtung von Gesche Gottfried sehen wollen. Was im frühen 19. Jahrhundert schon etwas befremden kann, im liberalen Bremen: eine öffentliche Hinrichtung.

Der Worpsweder Autor Peer Meter hat lange Jahre über Gesche Gottfried recherchiert, veröffentlichte vor zwei Jahren eine detaillierte Analyse der Prozessakten und zuletzt mit der Zeichnerin Barbara Yelin die Graphic Novel „Gift“. Daraus hat das Bremer Figurentheater „Mensch, Puppe!“ nun eine anspruchsvolle Inszenierung erarbeitet, die am Freitag Premiere hatte. Zwar ist die Figur der Reiseschriftstellerin fiktiv, doch kommt die Story der Wahrheit näher als die vielen dämonisierenden Schauermärchen, die lange das Bild der Gesche Gottfried dominierten – noch heute halten Stadtführer ihre Kundschaft an, kräftig auf den rätselhaften Stein zu rotzen, der sich auf dem Domshof an jener Stelle befindet, wo Gottfried hingerichtet wurde. Dabei handelt „Gift – Der Fall Gesche Gottfried“ nicht allein von Gesche Gottfried, sondern ist ebenso sehr ein beklemmendes Sittengemälde.

Vor Projektionen alter Stiche lässt Claudia Spörri die Honoratioren der Stadt als Schablonen lange Schatten werfen: Gottfrieds geschäftstüchtiger Verteidiger, der schon vor der Hinrichtung seiner Mandantin ein Buch über den Fall veröffentlicht hatte, der strenge Dompastor, aber auch ein Vermieter, der einer alleinstehenden Frau kein Zimmer vermieten darf. In einem kunstvoll windschiefen Szenario aus alten Kommoden, Karteikästen und Regalen lässt Spörri die Welt der Gesche Gottfried auferstehen, in einem Schränkchen dreht sie sich im Kreis, übrigens als einzige dreidimensionale Figur im Stück. Spörri selbst schaut als Reiseschriftstellerin staunend auf die Ereignisse im vermeintlich liberalen Bremen, dass weder seinen guten Ruf verlieren und deshalb die junge Autorin davon abhalten will, den Fall Gottfried in die Welt hinauszuposaunen, noch auf die brutale Inszenierung der Staatsgewalt zu verzichten gedenkt. Strukturiert wird „Gift“ durch Lieder der Romantik und kleine musikalische Skizzen, bei denen Spörri die singende Säge klagen lässt und Regisseurin Henrike Vahrmeyer vor allem ein archaisches Harmonium bedient, nebenher bearbeitet sie gelegentlich ein Glockenspiel und produziert live Geräusche zum Geschehen.

Es ist ein dichter, facettenreicher und spannender Blick auf ein Sück Bremer Geschichte, der Spörri eine Menge abverlangt, was sie bei der Premiere höchst respektabel bewältigte.  ASL

Wieder am 7. , 15., 21. Dezember, Theaterkontor, Schildstr. 21