Seelenspeise Muhammed kocht in Berlin Okraschoten für Freunde, wie es seine Mutter früher für die Großfamilie in Pakistan tat
: Essen, das niemandem gehört

Mitkochen darf Janno nicht. Nur so weiß Muhammed, dass es richtig gemacht wird Fotos: Lia Darjes

Von Ann Esswein

Es sei der Geruch von Heimat, sagt Muhammed, die Hände knöcheltief in einer Kiste Okraschoten. In Multan, in Pakistan, zog der süßliche Duft des Gemüses durch die Straßen, dort bekam er die Schoten frittiert an jedem Stand und direkt auf die Hand. Zu Hause gab es Bhindhi Masala, ein Curry aus Okraschoten, zu besonderen Anlässen. Dafür verschwand seine Mutter in den hinteren Teil der Küche, wo die Okraschoten in Massen lagerten, selbst angebaut auf 185 Hektar, und drei Monate gereift. Der Topf war groß genug, dass die neunköpfige Familie und die Angestellten satt wurden. Damals saß Muhammeds Vater noch am Küchentisch.

Zwei Jahre später und 6.000 Kilometer entfernt brät Muhammed Ingwer und Knoblauch an, wie es die Mutter tat. Durch die beschlagenen Fenster einer Gemeinschaftsküche in Kreuzberg sieht der 35-Jährige wie ein Teil des Szenekiez-Establishments aus: Seine Sneakers sind weiß, der Pullover ist so rot wie die Tomaten, die er aus der Einkaufstüte fischt.

Die Zeit drängt, in wenigen Stunden erwartet Muhammed 15 Gäste. Auf dem Speiseplan: Bhindhi Masala. Unzählige pakistanische Läden musste Muhammed abklappern, um Okraschoten zu finden, „Ladyfinger“ werden sie in Indien und Pakistan auch genannt. Es sei ein Essen, das keine Grenzen kenne, erklärt Muhammed, nicht die geopolitischen zwischen den verfeindeten Ländern und nicht die zwischen den Religionen. „Egal ob Hindu, Moslem oder Christ, wir gehen alle in dieselben Restaurants und essen das Gleiche“, sagt Muhammed, der schnell spricht und in rasender Geschwindigkeit die Zwiebeln in feine Scheiben schneidet.

Muhammed kommt aus Balochistan, 25 Kilometer bis zur Grenze zu Afghanistan sind es, auch der Iran ist nah: „Wenn wir als Kinder auf den Berg stiegen, konnten wir in die Nachbarländer schauen“. Sein Vater arbeitete im Verteidigungsministerium. Muhammed, der jüngste Sohn, schlägt eine ähnliche Karriere ein: In England studiert er Politikwissenschaft, später arbeitet er für eine humanitäre Organisation und engagiert sich als Aktivist.

Das Leben im Flüchtlingscamp Es gibt Chapati-Fertigmischungen, einen Por­tier, bei dem man sich melden muss, und ein nach Kartoffelsuppe schmeckendes Leben

2013 geraten Muhammed und sein Vater auf offener Straßen in einen Schusswechsel. Viermal wird Muhammed getroffen, eine Patrone durchschlägt seine Rippen. Als er vier Tage später im Krankenhaus aufwacht, ist sein Vater tot. „Renn weg“, fleht ihn seine Mutter an. Als einziger Zeuge des Überfalls ist nicht nur sein Leben, sondern auch das seiner Familie in Gefahr. Mit falschen Papieren flieht er über den Iran und die Türkei nach Deutschland.

Seine Erinnerung an die Ankunft ist wie ein milchiger Film: Es war 6 Uhr morgens, irgendwann im August, Freunde holten ihn vom Flughafen Tegel ab. Am klarsten waren die Schmerzen.

Breitbeinig auf einem Holzschemel sitzend, entfernt Muhammed sorgfältig die Stiele der Okraschoten, während er sich erinnert. An den Besuch beim Arzt zum Beispiel, und wie er danach einfach nur schlief – gefühlt einen Monat lang. „Wie geht es deinen Rippen?“, fragte seine Mutter ihn beim ersten Telefonat, und Muhammed antwortete ehrlich: „Ich bin okay“.

Dann pausiert Muhammed, schüttelt den Topf, randvoll mit den zu grünen Sternen geschnittenen Okraschoten und schaut das erste Mal auf: „Ich bin hier nicht wegen den 400 Euro Asylhilfe gekommen. Ich hatte keine andere Wahl, sagt er mit starker Stimme. Falten haben sich auf seiner Stirn eingefurcht.

Okraschoten

Seine Geschichte hat Muhammed nicht das erste Mal erzählt. Noch nie allerdings habe sich eine deutsche Behörde für die Hintergründe seiner Flucht interessiert. Seit seiner Ankunft 2014 hatte er noch keine Anhörung. Zwar wurde ihm subsidiärer Schutz geboten, aber sein Aufenthaltsstatus ist unsicher – unsicherer denn je. Tags zuvor bekam er die Aufforderung auszureisen. Pakistaner haben fast keine Chance auf Asyl, das Land sei kein Kriegsgebiet. Seit die Bundesregierung sich hart in der Asylfrage gibt, sind die Chancen noch geringer.

Janno, dem Betreiber der Kreuzberger Gemeinschaftsküche, erzählt Muhammed, während er die Okraschoten in den Topf zu den Zwiebeln und Tomaten gibt, vom Leben im Camp: von Chapati-Fertigmischungen aus Süddeutschland, vom Nachtportier, bei dem er sich täglich an- und abmelden muss, wenn er das Tor passiert, vom Leben, das nach trüber Kartoffelsuppe schmeckt. Als Janno ihm ein Bier anbietet, lehnt Muhammed ab: „Weil die Leute einen verurteilen, wenn man als Flüchtling mit dem Bier in der Hand durch die Straßen läuft“.

Mitkochen darf Janno nicht. „Nur so weiß ich, dass es richtig gemacht wird“, sagt Muhammed. Die Küche scheint der einzige Bereich, in dem er bestimmen kann. Als dreißig Minuten später das Curry zu einem rot-grünen Sud fusioniert ist, öffnet sich die Tür, und Muhammeds Freund Zia kommt in den Raum, in dem es nach Koriander, Ingwer und Kreuzkümmel riecht. Mit dem Kochlöffel fischt Zia eine weiche Okraschote aus dem Topf, probiert, nickt, lächelt bestätigend. Die beiden kennen sich und reden pakistanisch. Nur drei Wörter sind zu identifizieren: deport, police und lawyer.

Etwa 1,8 kg Okraschoten

4 große Tomaten

2 Zwiebeln

50 Gramm Ingwer

5 Knoblauchzehen

Koriandersamen, Salz, ­Kreuzkümmel, Kurkuma

Zwiebeln in Ringe schneiden, Ingwer und Knoblauch hacken. Alles in Bratöl andünsten. Tomaten hinzufügen und bei geschlossenem Topf köcheln lassen. Okraschoten waschen und gründlich abtropfen lassen. Die Stängel und Spitzen entfernen, die Schoten anschließend in etwa 1–2 cm lange Stücke schneiden und zum Tomaten-Zwiebel-Sud geben. Das Curry etwa 30 Minuten ziehen lassen. Mit Kreuzkümmel, Koriandersamen und Salz würzen.

Zutaten für 10 Personen. Mit Chapati-Fladenbrot servieren.

Muhammed erzählt Zia vom Abschiebebescheid – und dass er seinen Rucksack schon gepackt hat. Die Polizei könnte jeden Tag im Camp erscheinen und ihn abführen. „Ich habe keine Angst“, sagt er. „Nur um meine Familie.“

Zia schweigt, während sich Muhammed wieder seinem Curry widmet, dem Kochen, wie er es so oft tat, wenn er etwas vergessen wollte. Sein Vater hatte ihm als Kind gesagt, er solle nicht auf Gott warten, der vom Himmel kommt und die Dinge richtet – man müsse es selbst tun.

„Das Essen ist fertig“, sagt er irgendwann und blickt auf mehrere Hungrige, die sich um die Kochplatte gestellt haben. Sie sind neugierig auf das Essen, das „niemandem gehört“, wie Muhammed betont: „Es ist wie die Kultur. Wir können es nur teilen.“

Die Genussseite: Wir treffen uns einmal im Monat mit Flüchtlingen zum gemeinsamen Essen. Außerdem im Wechsel: Jörn Kabisch befragt Praktiker des Kochens. Philipp Maußhardt schreibt über europäisches Essen ohne Grenzen, und taz-AutorInnen machen aus Müll schöne Dinge.