Kolumne Rollt bei mir: Die Menschen mit dem roten Hut

„Den ganzen Tag im Rollstuhl, das wäre nichts für mich“, sagt der Mann von der Bahn. Ich nicke zustimmend, denn wir haben es eilig.

Ein Schaffner mit roter Mütze gibt an der Spitze des Zuges ein Handzeichen.

Bereit zur Abfahrt Foto: dpa

Weihnachten steht vor der Tür und damit auch der Besuch bei der Familie. In knallharten Verhandlungen wird geklärt, wer dieses Jahr besucht wird und damit den Großteil der Arbeit hat und wer besucht. Der Besuchende tauscht also die Zeit in der Küche gegen die Zeit im Auto, oder besser: im Stau.

Warum stattdessen nicht gemütlich mit der Bahn zu seinen Liebsten reisen? In den Zug einsteigen, sich neben einen freundlichen, aber nicht zu redseligen Sitznachbarn setzen, mit Highspeed durch die Landschaft und die Weiten des Internets reisen und nach vier Stunden pünktlich am Zielort ankommen. So weit die Theorie.

Ich fahre oft mit der Bahn und kann eigentlich die eben genannten Punkte nur bestätigen – zumindest das mit dem Einsteigen und dem Ankommen. Wobei sogar das mit Rollstuhl kompliziert ist.

Für das Einsteigen muss ich den Mobilitätsservice der Deutschen Bahn in Anspruch nehmen. Für diesen melde ich mich 24 Stunden vor Fahrtantritt an und werde 20 Minuten vor Abfahrt des Zuges von einem Bahnmitarbeiter in Empfang genommen.

Smalltalk

Von den Menschen in dunkelblauen Jacken mit zu langen Ärmeln und roten Hüten auf dem Kopf gibt es zwei Arten, die mir beide ans Herz gewachsen sind: Die einen holen mich am Service-Point des Bahnhofs ab, begleiten mich zum Bahnsteig, tragen meinen Koffer, schieben mich oftmals ungefragt und warten dann schweigend mit mir auf den Zug.

Die anderen versuchen mir die Wartezeit (oftmals länger als die geplanten 20 Minuten, aber das ist eine andere Geschichte) mit Smalltalk zu verkürzen. Das Wetter hier, das Wetter dort, das Wetter woanders. Herrlich.

Ab und zu sind die Fahrstühle kaputt. In so einem Fall sagte ein Mitarbeiter mit rotem Hut eines Tages zu mir: „Wir müssen jetzt mal schnell über die Schienen, um auf das andere Gleis zu gelangen, um den Fahrstuhl dort zu benutzen.“

Und er schiebt hinterher: „Ich sag mal schnell per Funk Bescheid, dass wir über die Gleise gehen, sonst sitzen wir bald beide im Rollstuhl“ – sofort ist das Eis zwischen uns gebrochen. Für ihn jedenfalls.

Was wäre wenn?

Einmal in Schwung, klärt er mich auf: „Den ganzen Tag im Rollstuhl, das wäre nichts für mich“ – ich nicke zustimmend. Er interessiert sich dafür, warum ich im Rollstuhl sitze, wenn wir schon mal beim Thema sind.

„Ich habe eine angeborene Behinderung“, leiere ich herunter und warte schon auf die Frage nach der Art der Behinderung. An seiner Miene erkenne ich einen „Was wäre, wenn ich im Rollstuhl säße?“-Gedankengang. Höchste Zeit, von den Gleisen zu verschwinden.

Dieses Was-wäre-wenn-Spielchen ist eigentlich nicht mein Ding, erst recht nicht, wenn mir jemand unverblümt sagt, dass er froh ist, nicht an meiner Stelle zu sein. Ich kann darauf nichts Schlagfertiges antworten, was seinen begrenzten Horizont erweitern und ihm sein verletzendes Verhalten vor Augen führen würde.

„Ist nicht so schlimm“, sage ich und meine das auch so, auch wenn ich weiß, dass er es mir sowieso nicht glaubt. Schlimm ist nur manche Art von Smalltalk – vor allem auf den Bahngleisen.

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Judyta Smykowski, geboren 1989 in Hamburg, Studium des Onlinejournalismus und Kulturjournalismus in Darmstadt und Berlin, arbeitet als Texterin und Referentin beim Berliner Sozialhelden e.V. und als freie Redakteurin bei der taz. In ihrer Kolumne schreibt sie über das Leben mit Rollstuhl und den Umgang der Gesellschaft mit behinderten Menschen.  

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