Voreilig entlassen

Urteil Der Berlin-Attentäter hätte laut Gericht 18Monate lang in Abschiebhaft einsitzen können

Grüne Politiker warnen vor einem Überbietungswettbewerb beim Thema Sicherheit.

Koparteichefin Simone Peter will „die Sicherheit der Menschen und die Bürger- und Menschenrechte bewahren“.

Ihr Mitvorsitzender Cem Özdemir fordert, „Vorschläge müssten immer auf ihre Praxistauglichkeit hin abgeklopft werden“. Es gebe eben „keine Sicherheit ohne Freiheit und keine Freiheit ohne Sicherheit“. (dpa)

BERLIN taz | Bundeskanzlerin Merkel hat am Montag eine „nationale Kraftanstrengung“ bei Abschiebungen angekündigt. „Wer kein Aufenthaltsrecht hat, muss in sein Heimatland zurückgeführt werden“, sagte sie. Wenn sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) an diesem Dienstag treffen, geht es auch um Abschiebehaft. Immerhin war der Berlin-Attentäter Anis Amri ein abgelehnter Asylantragsteller, der eigentlich längst nicht mehr in Deutschland hätte sein können. Anfang August war er sogar kurz in Abschiebehaft, doch die zuständige Ausländerbehörde in Kleve ordnete seine Freilassung an. Grund: Binnen drei Monaten könnten nicht die notwendigen tunesischen Ersatzpapiere besorgt werden.

Laut Aufenthaltsgesetz kann ein ausreisepflichtiger Ausländer in Abschiebehaft genommen werden, wenn es Anzeichen gibt, dass er sich sonst der Abschiebung entziehen würde. Falls eine Abschiebung nicht möglich ist, weil der jeweilige Staat überhaupt nicht kooperiert, ist keine Abschiebehaft erlaubt. Außerdem ist eine Abschiebehaft nicht zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate möglich ist – es sei denn, der Ausreisepflichtige hat die Verzögerung selbst zu verantworten.

Für Fälle wie den von Amri hat der Bundesgerichtshof schon 2010 geklärt, dass Verzögerungen durch fehlende Papiere zulasten des Ausreisepflichtigen gehen. In solchen Fällen darf die Abschiebehaft also auch verhängt werden, wenn die Abschiebung absehbar nicht binnen drei Monaten möglich ist. Konkret erklärt der BGH, es sei „eine Obliegenheit des Ausländers, im Besitz eines gültigen Passes zu sein; grundsätzlich muss er sich daher eigenständig um die Beschaffung von Identitätspapieren aus seinem Heimatland bemühen.“

Wenn der Ausländer aber keine Ausweispapiere besitzt und auch bei der Passersatzbeschaffung nicht mitwirkt, müsse er „Verzögerungen hinnehmen, die dadurch entstehen, dass die Behörden seines Heimatstaates um die Feststellung seiner Identität und die Erteilung eines Passersatzpapiers ersucht werden müssen.“ (Az.: V ZA 9/10)

Insofern wurde im Fall Amri wohl doch etwas voreilig auf Abschiebehaft verzichtet. Allerdings darf auch in diesen Fällen die Abschiebehaft nicht ewig, sondern maximal 18 Monate dauern.

Im Vorfeld des Ministertreffens erklärte Justizminister Maas: „Abschiebungen dürfen nicht an der fehlenden Mitwirkung der Herkunftsländer scheitern.“ Er hat aber offenbar auch keine neuen Ideen, wie Tunesien zu mehr Kooperation überredet werden könnte. Ihm geht es darum, dass die Haft nicht an der fehlenden Kooperation der Herkunftsstaaten scheitert.

Vermutlich wird die SPD nun auch einem Vorschlag de Maizières zustimmen, wonach Gefährder leichter in Abschiebehaft genommen werden können. Bei ihnen müsste künftig nicht mehr nachgewiesen werden, dass der Ausreisepflichtige untertauchen will. Dass die Abschiebung grundsätzlich möglich sein muss, daran wollte auch de Maizière bisher nichts ändern. CHRISTIAN RATH