Anschlag in Berlin

Die Fahndung läuft. Aber teils in die falsche Richtung

Ein Tag Topterrorist

UNTER VERDACHT Wie der pakistanische Flüchtling Navid B. kurzfristig zum Hauptverdächtigen der Todesfahrt des Lastwagens auf dem Berliner Breitscheidplatz wurde

BERLIN taz | Für ein paar Stunden gilt er als der Mann, der den schwersten Anschlag in Deutschland seit dem Oktoberfestattentat 1980 verübt hat. Alles scheint darauf hinzudeuten, dass er am Montag einen Lastwagen in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz gelenkt hat: Navid B, 23, eingereist aus Pakistan als politischer Flüchtling.

Nach seiner Festnahme am Dienstagabend durchsuchen Beamte die Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Flughafen Tempelhof, wo B. wohnt. Am nächsten Mittag erklärt Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt, es sei nicht sicher, ob es sich bei dem Festgenommenen um den Täter handele. Später heißt es von der Bundesanwaltschaft: Die bis­herigen Ermittlungsergebnisse hätten keinen dringenden Tatverdacht ergeben. B. wird am Abend wieder freigelassen.

Von Anfang an sprach wenig für B. als Täter. An seiner Kleidung sind keine Blutspuren, obwohl es im Führerhaus zu einem Kampf mit Messer und Pistole gekommen sein soll. Auch werden keine Schmauchspuren an seinem Körper gefunden, der Täter soll aber eine Schusswaffe eingesetzt haben.

Unklar ist, wieso B. überhaupt festgenommen wurde. Zunächst hieß es, ein Zeuge habe den Verdächtigen verfolgt und die Polizei informiert. Dann kommt heraus, dass der Zeuge ihn aus den Augen verloren und nur eine sehr vage Personenbeschreibung abgeliefert hat. Sein Cousin berichtet, dass B. in der Nähe der Siegessäule festgenommen wurde, als er bei Rot die Ampel überquerte. Als er sich nicht ausweisen konnte, habe die Polizei ihn mitgenommen.

B. gilt offiziell weiter als Beschuldigter. Das wird dem Bundestagsinnenausschusses am Mittwoch mitgeteilt, so Teilnehmer der Sondersitzung. B. habe zwar ein Alibi, gelte aber nicht als entlastet. Auch B.s Hintergrund passt nicht ins Bild: Er kämpft für ein unabhängiges Belutschistan. Es geht dabei um den pakistanischen Teil einer Region im Grenzgebiet zu Afghanistan und Iran. Amnesty International berichtet von dort von Fällen außergerichtlicher Hinrichtungen und Verschwindenlassen.

B.s Angehörige und Freunde erfahren aus den Nachrichten, dass er plötzlich als Hauptverdächtiger beim mutmaßlichen Anschlag galt. Telefonisch können sie ihn seitdem nicht erreichen. Sie fürchten, dass ihm etwas zugestoßen ist. Auch in seiner Flüchtlingsunterkunft hat keiner mehr etwas von B. gehört. Die Polizei will nicht sagen, ob sie B.s Aufenthaltsort kennt, und verweist an den Generalbundesanwalt. Dort heißt es lediglich, B. sei in Berlin freigelassen worden.

Aus dem Londoner Exil erklärt der Anführer der Unabhängigkeitsbewegung ­Hyrbyair Marri: „Die Belutschen selbst sind Opfer des pakistanischen Staates und des damit verbundenen dschihadistischen Terrors.“ Die Bewegung sei „gegen jede Form des religiösen Fundamentalismus“. Sebastian Erb

Christina Schmidt