Eine gut gehende Marke

Ausstellung Kopieren als Medium der Verbreitung: Viel lässt sich in der Gemäldegalerie über Hieronymus Bosch hinaus lernen

Copy-Paste, Sample, Cover, Remix – die Frage um Original und Kopie ist kein neues Phänomen. Eine kleine Ausstellung in der Gemäldegalerie zeigt, wie bedeutend und herkömmlich die Auseinandersetzung mit künstlerischer Einzigartigkeit und Aneignung durch Fremde bereits für die Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts war. Dafür hat sie einen Star der niederländischen Kunst herangezogen, dessen rares Werk schon von seinen Zeitgenossen vielfach kopiert wurde: Hieronymus Bosch.

Der neuzeitliche Maler Hieronymus van Aken aus dem niederländischen ’s-Hertogenbosch (daher sein Künstlername Hieronymus Bosch) verstarb 1516. Nur 47 Werke sind von ihm erhalten, davon 17 Tafelbilder und 19 Zeichnungen. Das ist nicht viel.

Bereits kurz nach seinem Tod verbreitete sich die Kenntnis über seine rätselhaften apokalyptischen Bilderfindungen. Der Katalog zur Ausstellung zitiert den Reisenden Antonio de Beatis, der 1517 in Brüssel Boschs „Garten der Lüste“ gesehen haben muss und (ganz verwirrt von der bizarren Motivik) in einem Brief formulierte, dass dieses Werk für niemanden zu beschreiben sei, der es nicht selbst gesehen habe.

Doch wie konnte man selbst in Madrid oder Wittenberg diese sonderbaren Bilder betrachten? Die Kopie war die Lösung. Und so kommt auch die Ausstellung „Hieronymus Bosch und seine Bilderwelt im 16. und 17. Jahrhundert“ mit nur einem originalen Tafelbild Boschs – Johannes auf Patmos – aus. Umkreist wird dieses Gemälde von einer ganzen Reihe Kopien.

Diese Nachahmungen verschiedenster Werke Boschs sind derart hochwertig und präzise, dass sie den starken Wunsch der Auftraggeber enthüllen, dem Original Boschs so nah wie möglich zu kommen. Kosten wurden dafür wohl auch nicht gescheut, wie es die Kopie des Weltgerichtstriptychons von Lucas Cranach d. Ä. dokumentiert, der anscheinend 1520 selbst nach Wien zum Original gereist ist.

Empfindliche Blätter

Kaum bekannt ist, dass das Berliner Kupferstichkabinett nahezu die Hälfte von Boschs Zeichnungen besitzt. Darunter „Das Feld hat Augen und der Wald hat Ohren“, mit dem Bosch (die heutige Furcht vor der technischen Überwachung vorausgreifend) die Natur zu einem argwöhnischen Beobachter werden lässt. Die Zeichnung ist in der Ausstellung zu sehen, jedoch nur kurz: Im zweiwöchentlichen Rhythmus werden die empfindlichen Blätter in den Vitrinen ausgetauscht.

Andere von Boschs Zeichnungen in der Berliner Sammlung sind lediglich schnelle Skizzen. Kleine Faltzettel, notdürftig mit Papierschnipseln geflickt. Doch diese verblassten Blätter sind eine wichtige Quelle für mehrere Jahrhunderte des Kopierens. Sie zeigen Boschs groteske Hybride und Drolerien – Weibsköpfe auf Füßen, ein gürteltierartiges Spindelwesen mit Insektenflügeln – in einer enträumlichten Darstellung. Im 16. Jahrhundert waren sie in etwa das, was heute in der elektronisch produzierten Musik als Sample auftaucht: Für die Wiederverwertung freigegebene Musterzeichnungen, die andere Künstler herausgreifen und nachahmen konnten. Und das taten sie auch.

Die Ausstellung versammelt auch Arbeiten von den Zeitgenossen Peter van der Heyden oder Peter Bruegel d. Ä, die Boschs Kreaturen in ihre eigene Werke setzen. Beiläufig erfährt man, dass der nicht unerfolgreiche Bruegel von seinem Verleger gedrängt wurde, sich zwecks besserer Verkäuflichkeit die „Marke“ Bosch für seine Kunst anzueignen. Bis ins späte 19. Jahrhundert reichen die Beispiele in der Ausstellung, und je weiter sich die Biografie der ausgestellten Künstler von Boschs Lebzeiten entfernt, umso mehr wandelt sich die Kopie in eine freie Interpretation vom Original, wie auch der Remix irgendwann ein eigenständiges Stück Musik darstellen kann.

Sophie Jung

„Hieronymus Bosch und seine Bilderwelt im 16. und 17. Jahrhundert“. Gemäldegalerie, Studio 4 und 5, Matthäikirchplatz, bis 19. Februar