Flüchtlinge

Wie leben Asylbewerber in den einzelnen EU-Staaten? Eine
taz-Recherche zu Asylregeln, Herkunfts- und Aufnahmeländern

Die Lotterie geht weiter

Regeln Asylbewerber in der EU leben extrem unterschiedlich

BERLIN taz | Immer wieder steht das Thema auf der Agenda: die Angleichung der Asylregeln. Lebens- und Aufnahmebedingungen sollen sich nicht mehr so stark unterscheiden wie heute. So will die EU verhindern, das Flüchtlinge innerhalb Europas bevorzugt bestimmte Länder wie Deutschland, Schweden oder Österreich ansteuern.

Zuletzt versprach Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos ein „echtes gemeinsames Asylverfahren,“ das die Asylbewerber „gleich und korrekt behandelt, egal in welchem Mitgliedstaat sie ihren Antrag stellen“. Fünf Monate ist das her. Herausgekommen ist: nichts.

2013 hatte die EU sich nach jahrelangen Verhandlungen auf ein „Gemeinsames Europäisches Asylsystem“ namens CEAS geinigt. „Asyl darf keine Lotterie sein“, erklärte die Kommission damals. „Es muss sichergestellt sein, dass Flüchtlinge gerecht behandelt werden und ihr Fall nach einheitlichen Standards geprüft wird, damit das Ergebnis unabhängig vom Ort der Antragstellung ähnlich ausfällt.“

Doch das Leben für Flüchtlinge innerhalb der EU ist noch immer extrem unterschiedlich. Sozialleistungen (siehe Text unten) und Verfahrensdauer, vor allem aber die Anerkennungschancen (siehe Grafiken) unterscheiden sich erheblich. Eine der Folgen: Auch das Aufkommen der Asylanträge ist EU-weit extrem uneinheitlich. Länder, die die Flüchtlinge schlecht versorgen – vor allem in Osteuropa – sind naheliegenderweise nicht deren erstes Ziel. Entsprechend gering ist deren Bereitschaft, sich höhere Standards vorschreiben zu lassen.

Viele deutsche Innenpolitiker würden daher die Sozialstandards gerne in Richtung des niedrigen, osteuropäischen Niveaus drücken. Das aber ist mit nationalem Recht unvereinbar: Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 entschieden, dass Flüchtlingen das Existenzminimum nicht vorenthalten werden darf, um Zuwanderung abzuwehren.

Noch komplizierter ist die Angleichung der Anerkennungspraxis. Jeder EU-Staat ist in dieser Frage autonom. Die Folge: Es gibt genau die „Lotterie“, die die EU vermeiden wollte. Während etwa Bulgarien im letzten Jahr nur 13 Prozent aller irakischen Antragsteller anerkannte, waren es in Italien 95 Prozent. Eine Angleichung wäre wohl nur über ein einheitliches EU-Verfahren möglich – etwa durch die noch embryonale EU-Asylbehörde EASO auf Malta.

Das favorisiert der amtierende maltesische EU-Ratsvorsitz. Auch die EU-Kommission sähe es am liebsten, fiele ihr die Hoheit über die Asylverfahren zu. Das würde „die komplette Harmonisierung der Verfahren, aber auch der konsistenten Beurteilung von Schutzbedürfnissen auf EU-Ebene sichern“, heißt es bei der Kommission. Doch die Mitgliedstaaten sind auf keinen Fall bereit, dieses Recht an Brüssel abzutreten. CJA