meinland Von Libanon nach Deutschland: Unser taz.meinland-Assistent auf der Suche nach gesellschaftlicher Zugehörigkeit und über die harte Arbeit ein Deutscher zu werden
: Eure Heimat ist meine Heimat

Die offene Gesellschaft als interaktiver Prozess: Alle müssen mitmachen, dann wird es auch ein Regenbogen Foto: Karsten Thielker

von Burhan Yassin

Seit jetzt eineinhalb Jahren lebe ich in Berlin. In der Stadt, von der ich gehört hatte, es sei die multikulturellste Stadt in ganz Europa. Genau danach habe ich gesucht. Davor habe ich 22 Jahre im Libanon gelebt. Obwohl ich auch dort geboren bin, hat sich dieses Land nie nach Heimat angefühlt.

Mir wurden politische wie auch Bürgerrechte verwehrt. Obwohl ich die gleiche Sprache spreche und meine Familie aus Palästina stammt, einer Gesellschaft, die der libanesischen Kultur und Tradition sehr ähnlich ist, wurde ich von den meisten Menschen als Fremder behandelt.

Ich war und bin kein Libanese. Also machte ich mich auf die Suche nach einem anderen Land, in welchem ich möglichst uneingeschränkt am täglichen Leben teilnehmen kann. Ich wünsche mir, eine offene Gesellschaft, die alle ihre dort lebenden Mitglieder akzeptiert, ohne zu fragen, woher sie kommen, welcher Rasse sie angehören, welchem Glauben, welchen Traditionen. Mein Traum ist eine Gesellschaft, die nicht nur eine einzige Farbe kennt.

Mangelnde Möglichkeiten der Integration

Ich wusste, dass es nicht ganz leicht werden würde, so ein Leben zu führen: mich Menschen anzupassen mit einer anderen Mentalität, einer anderen Sprache und anderen Ansichten. Aber das akzeptiere ich – so wie die anderen mich auch akzeptieren sollten. Das bedeutet offene Gesellschaft für mich.

Seit eineinhalb Jahren höre ich immer wieder ein Wort: Integration. Ich soll mich in das gesellschaftliche und politische Leben in Deutschland integrieren. Und das möchte ich. Aber die Möglichkeiten, die ich dafür bekomme, sind mir nicht genug.

Theoretisch ist eine gelebte offene Gesellschaft ein interaktiver Prozess, der alle Mitglieder der Gesellschaft in die Erschaffung eines Regenbogens miteinbezieht. Praktisch gilt der Integrationsprozess nur für Neuankömmlinge, so wie ich einer bin.

Ja, ich möchte ein Mitglied der deutschen Gesellschaft sein. Ich möchte Deutsch sprechen und so handeln, als ob ich zu diesem Land gehöre. Doch um das zu erreichen, gibt es noch viel zu tun: für die deutsche Regierung, die Medien und die Mit­bür­ger*innen.

Das bereits bestehende Integrationsprogramm der deutschen Regierung zum Beispiel bezieht sich nur auf Geflüchtete aus Syrien, Irak, Eritrea und Afghanistan. Leider komme ich nicht aus einem dieser Länder.Wenn man Deutsche fragt, was sie über arabisches Essen wissen, kennt jeder Falafel und Halloumi. Aber wissen die Deutschen auch, dass wir im Libanon den Müll nicht trennen, wir immer sehr laut miteinander sprechen, dass es fast keine Ampeln gibt. Kämen wir nicht besser miteinander zurecht, wenn wir mehr übereinander wissen würden?

Ich verstehe, dass die vielen Geflüchteten, die nach Deutschland gekommen sind, alle Leute hier überrascht haben. Und ich akzeptiere auch, dass es nicht genug Mittel gab, sofort allen ihren Bedürfnissen nachzukommen, aber es ist an der Zeit, sich zusammenzutun, um unsere Gesellschaft zu verbessern und eine echte offene Gesellschaft zu erschaffen.

Freiheit und Respekt? Bitte für alle in der Gesellschaft

Wir als Neuankömmlinge, als Geflüchtete oder Immigranten werden den größten Vorteil daraus ziehen, deshalb sollten wir auch den größten Teil dazu beitragen, dies zu erreichen. Die Rolle der Regierung ist es, gleiche Chancen zu schaffen, Freiheit und Respekt für alle Mitglieder der Gesellschaft – im ganzen Land, nicht nur in den großen Städten.

Die kurze Zeit, die ich bis jetzt im taz.meinland-Team verbracht habe, hat mir schon gezeigt, dass mein Traum wahr werden kann. Wir sind ein Team, keiner sieht aus wie der andere, aber wir akzeptieren uns alle und arbeiten Hand in Hand, um ein Ziel zu erreichen: eine Gesellschaft, ein Leben, ein Land – eine Zeitung.

Heute ist egal, wo mein Geburtsland oder wo meine Heimat ist. Ich werde den Libanon nicht vergessen, weil meine Familie dort ist, meine Erinnerungen, und weil ich dort meine Kindheit verbracht habe. Was jetzt zählt, ist, dass ich ein anderes Leben habe in einem anderen Land. Wenn man mich heute nach meinem Alter fragt, sage ich, dass ich eineinhalb Jahre alt bin – gezählt von dem Tag, an dem ich in Deutschland ankam.

Wenn ich eines Tages Kinder in Deutschland haben sollte, werden sie palästinensische und libanesische Wurzeln haben, aber vor allem anderen werden sie zu Deutschland gehören.

Übersetzt dem Englischen von Mareike Barmeyer. Die kursiven Worte entsprechen der Originalversion