Alte und dreckige Kraftwerke zuerst!

EMISSIONEN Der nächste Bundestag muss den Kohleausstieg bis 2035 beschließen, fordert der WWF

Nur noch gut fürs Museum: Braunkohle-Kraftwerk in Plessa Foto: dpa

BERLIN taz | Wenn Deutschland seine internationale Verpflichtung zum Klimaschutz ernst nimmt, muss es nach einem Gutachten im Auftrag des WWF alle Kohlekraftwerke bis 2035 abschalten, keine neuen Tagebaue für die Braunkohle genehmigen und die Nutzung der Öko-Energien wieder deutlich mehr ausbauen. Das fordert das Konzept „Kohleausstieg 2035“, das vom Öko-Institut und der Beraterfirma Prognos erstellt wurde. Diese Entscheidungen müssten Regierung und Parlament nach den Bundestagswahlen treffen, sagte gestern Christoph Heinrich vom WWF-Vorstand. „Das wird eine enorme Herausforderung für die nächste Legislaturperiode.“

Die Experten haben den deutschen Beitrag zum Klimaschutz kalkuliert: Vom globalen Budget an 890 Milliarden Tonnen CO2, das noch emittiert werden darf, um die Erderwärmung unter2 Grad Celsius zu halten, stehen Deutschland nach der Größe seiner Bevölkerung demnach zehn Milliarden Tonnen zu. Davon gehen etwa 4 Milliarden Tonnen an den deutschen Stromsektor – wenn alles so läuft wie bisher, „ist dieses Budget 2026 erschöpft“, sagte Heinrich.

Deswegen will der WWF Kohlekraftwerke nach 30 Jahren Lebenszeit ab 2019 stilllegen: alte und dreckige Meiler zuerst. Außerdem solle der CO2-Ausstoß pro Kraftwerk gedeckelt werden. Das könne „ordnungsrechtlich vorgegeben, über einen zusätzlichen Preis auf Emissionen erreicht oder vertraglich mit den Betreibern vereinbart werden“, sagt Felix Matthes vom Öko-Institut. Die betroffenen Regionen wie die Lausitz oder das rheinische Revier sollten beim Strukturwandel unterstützt werden. „Wichtig ist auch der Abbau der hohen Exportüberschüsse beim Strom“, so Matthes. Ohne die CO2-intensive Stromproduktion fürs Ausland stünde Deutschlands Klimabilanz um 6 Prozentpunkte besser da.

Der nächste Bundestag wird sich deshalb intensiv mit der „Dekarbonisierung“ Deutschlands befassen müssen. Das Ende der Kohle müsse durch einen Zuwachs an Erneuerbaren von mindestens 2,5 Gigawatt jährlich begleitet werden, meinte der WWF. Denn ab 2035 wird wieder mehr Strom gebraucht – wenn dann mehr E-Mobile fahren und die Wärmeversorgung elektrisch laufen soll.

Bisher plant die Bundesregierung weniger ambitioniert als der WWF: Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen aus den Kraftwerken um etwa 60 Prozent reduziert werden. Wie der Plan umgesetzt werden kann, hat nun das Umweltbundesamt (UBA) vorgeschlagen. Es legt vier Optionen vor: Entweder werden die ältesten Braun- und Steinkohlemeiler nach und nach stillgelegt; oder nur die Braunkohle wird als dreckigste Energieform um 75 Prozent reduziert. Die Politik könnte aber auch den Betrieb der Kraftwerke einschränken oder jede Tonne CO2 mit zehn Euro belasten. Jede Option würde „das Klimaziel für die Energiewirtschaft erreichen“, heißt es, für den Verbraucher würden die Maßnahmen kaum Mehrkosten bringen.

„Ein Strukturwandel muss unverzüglich eingeleitet werden“

Umweltbundesamt

Beide Konzepte entlasten das Weltklima allerdings nur dann, wenn auch der europäische Emissionshandel kräftig renoviert wird. Und beide haben noch etwas gemeinsam, wie das UBA schreibt: „Ein geordneter Strukturwandel muss unverzüglich eingeleitet werden.“ Bernhard Pötter