Definition „Offene Gesellschaft“: Machtbalance ist zwingend

Der Begriff „offene Gesellschaft“ entstand 1945. Er hat sich zu einem Begriff entwickelt, den viele bekämpfen – nicht nur Rechte.

Ein Transparent, auf dem u.a. "Für ein offenes Land" steht

Manche Linke kämpfen heute für eine offene Gesellschaft. Das war nicht immer so Foto: dpa

Der Begriff der „offenen Gesellschaft“ wurde 1945 vom österreichischen Philosophen Karl Popper ausformuliert. Er galt – und gilt – vielen dogmatischen Linken als liberale Hexenformel, die unbedingt abzulehnen ist.

Denn Poppers Konzept richtete sich ausdrücklich gegen alle totalitären Versuchungen, gegen alle „Erzählungen“ vom großen gesellschaftlichen Ganzen. Der Nationalsozialismus war eben besiegt worden, der Sozialismus in seiner diktatorischen Form lebte noch sehr lange: Die „offene Gesellschaft“ verkörperte gedanklich ihren Gegenentwurf.

Er hat demokratische Verhältnisse zur Voraussetzung, aber sie bedeuten nicht die Machtausübung der Mehrheit über die Minderheit auf autokratische Weise (wie aktuell in Ungarn und Polen). Vielmehr sollen Machtwechsel so vollzogen werden, dass die Minderheit prinzipiell nicht gedemütigt wird – denn sie könnte die nächste Wahl gewinnen.

Staatsrechtlich gesehen: Machtbalance ist für die Idee der „offenen Gesellschaft“ zwingend – anders als in Polen seit dem Wahlsieg der PiS darf eine Regierung nicht die Rechtsprechung sich untertan machen.

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Kulturell sind für die Idee der offenen Gesellschaft Meinungsfreiheit, Streit, Dissens, Konflikt grundsätzlich. „Wahrheit“ als letzte Instanz des Redens ist nur denkbar bis zum (naheliegenden) Beweis des Gegenteils. Offen sind gesellschaftliche Verhältnisse, wenn Minderheiten ihren politischen und kulturellen Ausdruck finden können, sofern sie dies wollen. Religiöse Kritik an Äußerungen von politischen oder zivilgesellschaftlichen Akteur*innen hat keinen besonderen Rang – nur den, den alle Teilnehmer in der öffentlichen Arena haben.

Kritik am Konzept der offenen Gesellschaft kam in den sechziger Jahren auch von konservativer Seite, sie war überwiegend christlich-religiös aufgeladen. Aus dem marxistisch-linken Spektrum lautete der Einwand gegen diese Welthaltung, sie erörtere nicht das Problem des Kapitalismus schlechthin – und selbst in sozialmarktwirtschaftlichen Verhältnissen thematisiere die Theorie Karl Poppers nicht, dass es für die Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs ausreichend soziale Sicherheit geben müsse. Und dies sei in kapitalistischen Gesellschaften – und seien sie noch so rechtsstaatlich – nirgends der Fall. Der Streit dauert an, und das würde Karl Popper vermutlich am meisten freuen.

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