Weniger Zuschauer, mehr Kohle

Fernsehen Die Einschaltquoten der Privatsender sinken. Grund zur Panik? Nö, meint ­Ex-RTL-Chef Thoma. Denn mit wenig attraktivem Programm verdient man dort viel Geld

Hauptsache, Werbespots Foto: Duwentaester/teamwork

von Wilfried Urbe

Seit einiger Zeit ist es zum Ritual geworden: Um den Jahreswechsel herum werden die Einschaltquoten des vergangenen Jahres veröffentlicht. Das ruft Kritiker auf den Plan, die aufgrund gesunkener Zahlen den Sinkflug des Mediums Fernsehens feststellen, der sich künftig noch verstärken wird – besonders, was das junge Publikum angeht. Das kontern dann die Sender mit dem Hinweis, dass die Sehdauer weitgehend stabil und Fernsehen Leitmedium geblieben ist. Vor Kurzem erst malte der Onlinefachdienst Meedia ein düsteres Bild, vor allem für die Privatsender: So hätten die drei Großen, RTL, ProSieben und Sat.1, 2016 bei der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen gemeinsam einen Marktanteil von 31,9 Prozent erreicht. Noch 2011 lag dieser Anteil bei 40,7 Prozent. RTL beispielsweise fährt mit 12,8 Prozent sogar das schlechteste Ergebnis seit 1990 ein. „Alles nicht so schlimm für die Privaten“, glaubt Ex-RTL-Chef Helmut Thoma, solange der Fernsehwerbemarkt von nur wenigen Me­dia­agenturen beherrscht wird, die als Mittler zwischen Werbetreibenden und Sendern auftreten.

Vor allem eine Bedrohung für das Geschäftsmodell der Privaten sieht er nicht: „Warum denn auch? Ihnen geht es doch wunderbar. Mit dem kleinstmöglichen Aufwand verdienen sie mehr Geld als je zuvor. Da wird nicht in teure Serien oder Events investiert, sondern in möglichst billige Produktionen.“ Als ein Beispiel nennt Thoma die Serie „Big Bang Theory“: Bis zu 120 Mal werde eine Folge wiederholt. „Das wenig attraktive Programm führt heute dazu, dass sie Reichweiten haben, die teilweise unter dem Niveau von 1988, also vier Jahre nach dem Start des Privatfernsehens, liegen. Das ist kein Vorwurf, ich hätte es auch so gemacht.“

Tatsächlich zeigen sich trotz preiswerter Programme und drastisch gesunkener Zuschauerzahlen noch keine Auswirkung auf die Werbeeinnahmen. Für Thoma ist die Erklärung klar: die zunehmende Konzentration auf dem Markt der Mediaagenturen. Eine Mediaagentur ist so etwas wie ein Vermittler zwischen Medien und Werbetreibenden. Sie schalten und verwalten im Auftrag ihrer Kunden, also der Werbetreibenden, deren Werbung. 2015 betrug dieses Volumen in Deutschland rund 29 Milliarden Euro. 74 Prozent dieses Kuchens haben sich drei große Agenturnetzwerke aufgeteilt, für die TV-Budgets liegt dieser Anteil sogar bei 90 Prozent.

Beim Privatfernsehen arbeiten sie vor allem mit der RTL- und der ProSiebenSat.1-Gruppe zusammen, wo der Großteil der TV-Werbebudgets hinwandert. Thoma sagt: „Obwohl sich die Reichweite im TV ungefähr halbiert hat, zahlt die Werbeindustrie heute das 15- bis 20-Fache von dem, was sie 1988 bezahlt hat.“ In seiner Sicht könnten die Topmanager bei den Werbetreibenden Millionen einsparen, aber: „Das Thema ist wohl noch nicht auf ihrer Flughöhe.“ Ein Gutachten der Bayerischen Landesmedienanstalt beschreibt ebenfalls die Marktmacht einiger weniger Mediaagenturen.

Entwarnung gibt Thoma auch für die demografische Entwicklung. Zwar soll in den letzten 15 Jahren die Zahl der 14- bis 49-Jährigen um über fünfeinhalb Millionen Menschen zurückgegangen sein, aber das sollte in seiner Sicht nicht überbewertet werden. Viele Flüchtlinge seien ins Land gekommen und hätten ihre Gewohnheit mitgebracht, viel Fernsehen zu schauen: „Für sie wird auch hier TV weiterhin ein günstiges und attraktives Unterhaltungsmedium sein.“

Mit Blick auf die neuen Medien als Killer des linearen Fernsehens schließlich verweist er auf die Minutenreichweite von Plattformen wie Netflix oder YouTube bei der Gesamtbevölkerung, die gegenüber der klassischen TV-Nutzung verschwindend gering sei: „Das Verhalten hat sich bisher noch nicht wesentlich geändert. Und auch die Werbeindustrie wird skeptischer: Mit automatischen Programmen kann im Internet eine ungeheure Anzahl von Clicks generiert werden.“