Freie Medien in Ungarn: „Orbán hat immer noch Hunger“

Das Ende der Tageszeitung „Népszabadság“ zog sich über Monate hin. Es steht stellvertretend für das, was der freien Presse im Land droht.

Menschen vor einem Gebäude

Solidarität mit der alten „Népszabadság“-Belegschaft: Protest vor dem ungarischen Parlament im Oktober 2016 Foto: dpa

Diese Woche vor vier Monaten erschien Népszabadság zum letzten Mal. Obwohl wir es damals noch nicht wissen konnten, wurde die letzte Ausgabe eine Zusammenfassung all der Korruptionsgeschichten, die wir zuletzt monatelang recherchiert hatten. Artikel über eine politische Elite, die luxusgeil, machtbesessen und unendlich arrogant geworden war.

Was die anderen Korruption nennen, sei die Essenz der ungarischen Regierungspolitik, sagte der Chefideologe des Ministerpräsidenten Viktor ­Orbán allen Ernstes. Um András Lánczi zu verstehen, muss man sich in Ungarn auskennen (oder in Russland, oder in der Türkei). In diesen Ländern bemüht sich die Politik vornehmlich darum, alle Ressourcen des Landes dazu zu nutzen, befreundete und treu ergebene Oligarchen aufzupäppeln, die dann einen Teil ihres Vermögens für den Erhalt der Macht verfeuern.

Orbán will sicherstellen, dass die Mehrheit der Banken, Handelsketten und Medien im Land in ungarische Hand gelangen, ausländische Investoren sollen verdrängt werden. Dazu werden Sondersteuern für bestimmte Akteure und Gesetze gegen unliebsame Konkurrenz erlassen.

Vor allem aber werden die europäischen Fördergelder missbraucht. Man kann schreiben, dass deutsche SteuerzahlerInnen die Einstellung von Nép­sza­badság mitfinanziert haben. Es hört sich populistisch an, ist aber die Wahrheit. Ungarn ist nach Polen der zweitgrößte Profiteur des europäischen Strukturfonds. Das Geld fließt in große Infrastrukturprojekte. Dort versickern unheimliche Summen in den Taschen regierungstreuer Unternehmer. Für diese Selbstbereicherung bringen sie Gegenleistungen. Zum Beispiel kaufen sie die Medien des Landes auf – und bringen sie stramm auf Linie.

Der berühmteste dieser Unternehmer heißt Lőrinc Mé­szá­ros. Der gelernte Gastechniker führte ein unscheinbares und bescheidenes Leben, bis sein ehemaliger Klassenkamerad Viktor Orbán im Jahr 2010 an die Macht kam. Seitdem kann er keine Ausschreibung mehr verlieren. In den letzten sieben Jahren katapultierte er sich in die Riege der reichsten Menschen des Landes. Er ist inzwischen Bürgermeister in Orbáns Heimatdorf Felcsút.

Gegen die Wand gerannt

Nach dem, was wir bei Népszabadság recherchiert haben, kaufte Mészáros unsere Firma schon im Frühsommer 2016. Offiziell unterzeichneten die Beteiligten das Geschäft aber erst im Oktober, nach der Schließung der Zeitung. Zuvor sollte der Österreicher Heinrich Pecina – seit 2014 im Besitz unserer Zeitung – noch zwei Dinge für Mészáros erledigen: Er gab im vergangenen Sommer seinen Namen, damit die Funke Gruppe ohne Gesichtsverlust aus Ungarn aussteigen konnte. Das deutsche Verlagshaus konnte seine vier Regionalblätter einem Österreicher verkaufen statt dem dubiosesten Oligarchen, den Ungarn zu bieten hat. Auch bei der Népszabadság spielte der Wiener Gentleman den Sündenbock und stellte sie zehn Tage vor seinem offiziellen Rückzug aus dem ungarischen Medienunternehmen ein. Er gab finanzielle Gründe für die Schließung an. Das kann nur eins bedeuten: Man hat ihn dafür fürstlich entlohnt.

In den vergangenen vier Monaten machten sich die Medienverwalter von Mészáros daran, all seine Publikationen gleichzuschalten. Mit zwölf Regionalblättern dominiert sein Unternehmen den Zeitungsmarkt. Der Anteil zentral verfasster Inhalte in den Regionalblättern wurde massiv erhöht, die redaktionelle Freiheit so enorm eingeschränkt. ChefredakteurInnen wurde untersagt, diese Inhalte in irgendeiner Form zu bearbeiten. So kann ein und dasselbe Interview mit Viktor Orbán in allen Zeitungen von Mészáros gleichzeitig und in identischer Form erscheinen. Die einzige Sporttageszeitung des Landes macht unter Mészáros Propaganda für die verschwenderische Olympiabewerbung Orbáns um die Spiele 2024 in Budapest. Das hauseigene Wirtschaftsblatt redet derweil die Zahlen schön. Und als ob das nicht genug wäre, kaufte Mészáros vor einigen Monaten auch noch einen Fernsehsender.

Ein Coach fürs Liebesleben, einer für den Erfolg, einer für schwere Entscheidungen – unsere Gesellschaft ist gecoachter denn je. Arno Frank prüft das Selbstoptimierungswesen in der taz.am wochenende vom 11./12. Februar. Außerdem: Permakultur hat es in die Supermärkte geschafft. Neue Hoffnung für die Bio-Landwirtschaft? Und: Am Sonntag wird der neue Bundespräsident gewählt. Mit dabei: Erika Maier, die lange in der SED war und die DDR mit aufgebaut hat. Sie ist die Mutter von taz-Autorin Anja Maier. Ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter über Marxismus, Mut und das Jetzt und Hier. Das alles am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Oft dachte ich die letzten Monate, dass wir bei Népszabadság noch Glück gehabt hatten. Die KollegInnen vor allem bei den Regionalblättern haben nur zwei Optionen: mitmachen oder gleich den Beruf wechseln. Doch dann sind wir selbst gegen die Wand gerannt.

Wir wollten ein neues Projekt auf die Beine stellen. Zuerst waren wir zuversichtlich; die Einstellung von Népszabadság war aus unserer Sicht wirtschaftlich unsinnig. Das Blatt war Marktführer, die Auflage überflügelte alle Konkurrenten zusammengerechnet, der Umsatz war solide. Auch den Druck durch einen möglichen Anzeigenboykott fürchteten wir für einen Neustart nicht. Schon Népszabadság hatte kaum Inserate gehabt. Die Grundidee war ziemlich einfach: Es gab eine Leserschaft, die zu zahlen bereit war, und die JournalistInnen und RedakteurInnen, die diese Menschen bis zum Oktober mit Inhalt beliefert hatten, waren arbeitslos. Die Belegschaft war bereit, mit noch weniger als früher Geld auszukommen.

Nur einen Investor fanden wir nicht, der es auch gewagt hätte. In den Augen potenzieller Geldgeber waren wir die Redaktion, für deren Verstummen Orbán einen internationalen Skandal auf sich genommen hat. In den Augen vieler reicher Menschen und Medienschaffenden Ungarns käme es einer Kriegserklärung gleich, uns zu unterstützen. „Wer in Medien investieren will, sollte keine anderen Interessen in Ungarn verfolgen.“ Das sagte Sándor Csányi, der reichste Ungar, im Herbst in einem Forbes-Interview. Wer auf freie Presse setzt, wird angegriffen.

Selektive Medienkrise

Die meisten MitarbeiterInnen von Népszabadság heuern in diesen Wochen bei den verbliebenen freien Medien im Land an. Wir fühlen uns wie Eisbären am wegbrechenden arktischen Eis. Zunehmend frustriert nehmen wir zur Kenntnis, dass die Fläche, die uns noch Freiheit bietet, von Woche zu Woche schrumpft. Ein Kollege sagte neulich bei einer Demonstration: „Tausende Menschen arbeiten für ungarische Medien; aber wundersamerweise betrifft die Medienkrise allein die 300 JournalistInnen, die der Regierung die Stirn bieten würden.“

Und es gibt kein Aufatmen. Ende Januar ist auch Figyelő gefallen. Das Wochenblatt mit dem Schwerpunkt Wirtschaft wurde Ende 2016 von der offiziellen Geschichtsverbiegerin Orbáns aufgekauft. Die Historikerin Mária Schmidt versprach damals Qualität, Augenmaß und Fairness. Ende Januar zeigte sie, was sie darunter versteht: Die Wochenzeitung bekam drei Aufseher, einer von ihnen ist Abgeordneter der Orbán-Partei Fidesz, der andere der Sohn des schon erwähnten Chefideologen Lánczi. Die Hälfte der Belegschaft hat inzwischen gekündigt.

Gespannt richten sich nun alle Augen auf Index, das größte Internetportal des Landes, und auf Magyar Nemzet, nach Nép­sza­badságs Einstellung die größte ungarische Tageszeitung. Orbán will keine bedeutenden freien Medien mehr dulden. Er denkt, mit Donald Trumps Sieg sei auch die letzte Stütze der ungarischen Presse und der Zivilgesellschaft gefallen: Washington. Brüssel oder Berlin fürchtet er schon lange nicht mehr.

Orbán hat den Kampf um die Einstellung von Népszabadság in diesen Tagen ganz leise gewonnen. Und er hat immer noch Hunger.

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Gergely Márton war von 2014 bis zu ihrer Einstellung stellvertretender Chefredakteur der Népszabadság.

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