Kein Tisch, kein Schrank, kein Garderobenhaken

Urteil Linkspartei-Politiker Peer Jürgens wegen gewerbsmäßigen Betrugs schuldig gesprochen

BERLIN taz | „Kleinbürgerlich!“, schimpft der Anwalt. „Lebensfremd“, entgegnet die Richterin. Damit begründet sie ihr Urteil gegen den ehemaligen Landtagsabgeordneten Peer Jürgens. Es lautet: schuldig.

Das Schöffengericht sieht als erwiesen an, dass der Abgeordnete der Linkspartei über zehn Jahre lang einen falschen Wohnsitz angegeben hat. So kassierte er zu Unrecht Fahrtkosten und Mietzuschüsse vom Landtag. Constanze Rammoser-Bode verurteilt ihn daher wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs zu einem Jahr und zwei Monaten Haft auf Bewährung und 7.200 Euro Geldstrafe.

Jürgens galt noch vor einigen Jahren als Hoffnung der Brandenburger Linkspartei. Zehn Jahre lang saß der Nachwuchspolitiker im Landtag. Nach seiner Wahl 2004 meldete er sein Elternhaus in Erkner als Hauptwohnsitz an, ab 2011 eine Wohnung in Beeskow. Beide Orte liegen weit weg von Potsdam im Landkreis Oder-Spree. In Wahrheit soll er erst in Berlin, dann in Potsdam gelebt haben.

Als er das Urteil hört, schaut Jürgens noch ernster. Die Haut in seinem Gesicht ist rot und wirkt ausgetrocknet. Die Haare des 36-Jährigen sind in den vergangenen Monaten ergraut.

Als erschwerend empfindet Rammoser-Bode die Dauer des Betrugs. „Zehn Jahre lang hätten Sie immer wieder Zeit gehabt zu sagen: Jetzt ist Schluss.“ Sie spricht von einem „Indizienball“: Der Wohnsitz wurde anhand von Stromverbrauch, Zeitungsabo und Fahrradschloss ermittelt. So habe es in der Wohnung in Beeskow weder Tisch noch Kleiderschrank noch Garderobenhaken gegeben. Dort den Lebensmittelpunkt zu sehen, sei „lebensfremd“. „Einen Indizienball gibt es im Strafrecht nicht“, kommentiert Jürgens’ Anwalt Norman Lenz nach dem Prozess. Die Idee des Hauptwohnsitzes: „kleinbürgerlich“. Sein Mandant werde Rechtsmittel einlegen.

Jana Anzlinger