„Er ist der Urvater der Demokratie im Kongo“

Kongo Unerwartet stirbt der große Oppositionsführer Etienne Tshisekedi in Belgien. Seine wechselvolle Karriere spiegelt den Niedergang seines Landes

Donnerstagfrüh finden sich die ersten Trauernden an Tshisekedis Haus in Kinshasa ein Foto: Simone Schlindwein

von Simone Schlindwein
­KINSHASA), FranÇois Misser
(BRÜSSEL) und Dominic Johnson

Tränen der Trauer rinnen ihnen über die Wangen. Hunderte junge Männer stehen und knien am frühen Morgen auf der Straße vor dem Haus ihres politischen Idols im Stadtviertel Limete in Kinshasa, Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Sie trauern um Etienne Tshisekedi. Der historisch wichtigste Oppositionsführer des Landes ist am Mittwoch im Alter von 84 Jahren in Belgien gestorben.

Vor dem schwarzen Eingangstor hat die Familie einen Schrein errichtet: ein Foto, Kerzen, Blumenkränze. Die Stimmung ist emotional aufgeladen. „Wir stehen unter Schock, denn er war nicht nur unser Präsident, sondern unser Lehrer“, schluchzt Prince Mukendi, Vorsitzender der Jugendliga von Tshisekedis Partei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt). Tshisekedi habe eine ganze Generation geprägt: „Sein Körper ist tot, aber er bleibt für uns Jugendliche unsterblich.“Tshisekedi verkörpert wie kein Zweiter den jahrzehntelangen gewaltfreien Kampf für Demokratie im Kongo. Er war einer der ersten, die sich trauten, in den 1980er Jahren gegen den brutalen Diktator Mobutu Sese Seko im damaligen Zaire die Stimme zu erheben.

Als Mobutu ein Mehrparteiensystem zuließ und Wahlen versprach, stieg Tshisekedi 1992 als Chef der größten neuen Oppositionspartei UDPS zum Premierminister auf. Eine neue Ära schien anzubrechen.

Aber die Hoffnungen erfüllten sich nicht. Mobutu hintertrieb die Demokratisierung. ­Zaire trieb in den Krieg, Rebellen unter dem alten Guerillaführer Laurent-Désiré Kabila stürzten 1997 Mobutu. Statt Demokratie aufzubauen, marginalisierten sie die zivilen Kräfte in dem Land, das ab jetzt Demokratische Republik Kongo hieß. Jahrelang zerfiel Kongo in einem der blutigsten Bürgerkriege Afrikas. Der Krieg endete 2003, aber Kabilas Sohn Joseph Kabila ist bis heute an der Macht und Tshisekedi in der Opposition.

2011 traten die beiden Schwergewichte der kongolesischen Politik erstmals in Wahlen gegeneinander an. Nur durch Manipulation sicherte sich Kabila den Sieg. Tshisekedi rief sich zum legitimen Präsidenten aus. Mal verharrte er in Limete, mal monatelang im Ausland. Zuletzt schmiedete er ein breites Bündnis mit abtrünnigen Mitstreitern Kabilas, an erster Stelle Exprovinzgouverneur Moise Katumbi. Der Machtwechsel bei den nächsten Wahlen Ende 2016 schien zum Greifen nahe. Ende Juli 2016 kehrte Tshisekedi nach langer Abwesenheit triumphal nach Kinshasa zurück – bejubelt von Hunderttausenden.

Die Wahlen fanden nie statt. Kabila blieb an der Macht, Tshisekedi und seine Anhänger bliesen zum Volksaufstand. In letzter Minute handelte die katholische Kirche zu Silvester 2016 ein Abkommen aus, das Wahlen bis Ende 2017 vorsieht und zur Wahlvorbereitung einen „Nationalrat“ – geführt von Tshisekedi.

Als der Oppositionsführer am 24. Januar das Land verließ, dachte keiner, dass es seine letzte Reise werden würde. Drei Wochen lang sollten die medizinischen Routineuntersuchungen in Belgien dauern. Zu Fuß ging Tshisekedi zu den Stufen des Privatjets, der ihn von Kinshasa nach Brüssel flog, begleitet von Ehefrau Marthe und Sohn Roger.

„Sein Körper ist tot, aber er bleibt für uns unsterblich“

Prince Mukendi, UDPS-Jugendchef

Kurz nach 17 Uhr am 1. Februar erlag er im Krankenhaus Sainte Elisabeth im Brüsseler Vorort Uccle einer Lungenembolie. Noch am Donnerstag wollte Sohn Félix Tshisekedi, der faktisch längst die UDPS-Führung übernommen hat, aus Kinshasa nach Brüssel aufbrechen. Es wird eine Trauerfeier in Brüssel erwartet, bevor der Leichnam nach Kinshasa überführt wird.

Dass Tshisekedi ausgerechnet in dieser heiklen Zeit stirbt, sorgt für Ängste. „Er ist der Urvater der Demokratie in Kongo und es gibt niemanden, der ihn ersetzen kann“, sagt Mukendi vor Tshisekedis Haus in Kinshasa unter Tränen. „Wir werden Präsident Kabila jetzt nicht erlauben, den politischen Transitionsprozess zu dominieren.“

Dutzende junge Parteimitglieder drängeln sich um den Schrein. Jeder will einen letzten Blick auf das Foto erhaschen, niederknien und Respekt zollen. „Der Kampf wird weitergehen“, skandieren sie im Chor.

Auf taz.de: Kongolesische Stimmen zu Tshisekedis Tod