Die Macht geht vom Menschen aus

Politik Über Macht und Machtausübung stritt sich die Philosophin Hilge Landweer mit dem Wahlkampfberater Frank Stauss in Berlin

Las man in den letzten Tagen von „Macht“, dann meist in einem negativen Kontext von „Machtmissbrauch“ oder verknüpft mit der Frage nach der Legitimität von Macht. Viele der rund 80 Gäste, die am Montagabend zum Salon der Komischen Oper Berlin unter dem Titel „Was machen mit der Macht? Wirkung und Notwendigkeit von Machtausübung“ gekommen waren, hatte wohl diese Assoziation gelockt. Es diskutierten der Politologe Frank Stauss, der zwei Dutzend Wahlkämpfe vor allem für die SPD organisiert hat, und die Philosophin Hilge Landweer, die unter anderem zur Macht der Gefühle forscht.

Der zum leichteren Einstieg vorgegebenen Definition von Macht bei Max Weber – die Chance, in sozialen Beziehungen den eigenen Willen auch gegen Widerstände durchzusetzen – setzte Hilge Landweer gleich die von Michel Foucault entgegen. Nach Foucault ist Macht das Verhältnis von Kräftelinien, die überall, aber in unterschiedlicher Ballung vorhanden sind. Die Macht sei also unabhängig davon, ob jemand Macht ausüben will. „Das ist das Unheimliche“, sagte Landweer. Von diesem mehrdimensionalen Machtbegriff entfernte sich das Podium allerdings schnell wieder.

Die Partei war durch

Frank Stauss, der bereits 1992 in den USA an der Kampagne von Bill Clinton und Al Gore mitgearbeitet hat, begann mit einer positiven Definition. Er setzte der abstrakten Macht jene Macht entgegen, die von den Menschen ausgeht. Schon als Kind sei er fasziniert davon gewesen, dass Menschen wählen gehen. Dann erzählte er von Wahlkämpfen, die er betreut hatte – wie Klaus Wowereit „ins Amt gestolpert ist“, wie Olaf Scholz nach dem Ende von Schwarz-Grün zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen war und wie ein beliebter Politiker wie Peer Steinbrück einfach nicht durchstarten konnte: „Die Partei war einfach durch.“

Immer wieder stand die Frage im Raum, was den Typ Politiker ausmache. Stauss blieb zurückhaltend. Die Demokratie sei viel stabiler, als es auch von Politikern und Medien dargestellt werde. Besonders ärgerte ihn die „Beschimpfung und Unterstellung“, Politiker seien korrupt. Er habe in seinen 25 Jahren Wahlkampfarbeit noch keinen Politiker erlebt, der sich bereichert habe. Als dann eine Sequenz der US-Serie „House of Cards“ eingespielt wurde, in der Präsident Frank Underwood einer Konkurrentin droht, grenzte sich Stauss deutlich davon ab. „Das ist das Futter für Demokratieverachtung“, sagte der Wahlkampfexperte trocken, fügte aber doch hinzu, dass die Szene derzeit an Realität gewinne.

Ob dieser neue US-Präsident das Machtgefüge der drei Gewalten ins Wanken bringe, wie von einigen befürchtet wird? „Wenn der Präsident zu einem Richter sagt, seine Entscheidung sei empörend, dann erodiert das die Gewaltenteilung“, kommentierte Hilge Landweer. Denn hinter dem Gefühl der Empörung stehe immer die Überzeugung, dass einem tatsächlich Unrecht widerfahren sei.

Schnell war an diesem Abend klar geworden, dass die grundverschiedenen Ansätze der Philosophin und des Wahlkampfberaters, Macht zu denken, nicht zu kitten sein würden. Als zuletzt einige Zuschauer das Wort ergriffen, kam eine dritte und die eigentlich interessanteste Ebene hinzu. Eine Frau fragte nach der Möglichkeit des Widerstands gegen die Kooperation Deutschlands mit der Türkei oder Russland.

Ein junger Mann erinnerte an die Macht der Ökonomie, die auch bei einer Diskussion in einem Opernhaus nicht fehlen dürfe. Darauf ging Landweer ein. „Ein anderes Wort dafür ist strukturelle Gewalt“, sagte sie. „Wir sind ihr ausgeliefert, denn der Kapitalismus lässt sich nur begrenzt regulieren.“ Bevor aber eine Debatte entstehen konnte, plädierte Stauss – ganz Politikberater – für „intellektuelles Downsizing“.

Und so kam es, dass zum Ausklang Peter Meiser, der am Klavier durch ein kleines Programm von Stockhausen bis Haubenstock-Ramati geführt hatte, über die Demokratie in der modernen Musik sprach: wie nämlich mit der grafischen Komposition die Macht über die Interpretation an den Spieler übergehe. Das war zwar nicht mehr so grundsätzlich, aber amüsierte das Publikum sehr. Sonja Vogel