„Geile Bewegungen spüren“

SKISPRINGEN Vor der nordischen Ski-WM im finnischen Lahti spricht Österreichs Weitenjäger Gregor Schlierenzauer über seine Suche nach Abstand zum Leistungssport

Kennt sich jetzt mit neurolinguistischem Programmieren aus: Gregor Schlierenzauer, der Schanzenpapst aus Österreich Foto: reuters

Interview Klaus-Eckhard Jost

taz: Herr Schlierenzauer, zwei Wochen vor der WM sind Sie beim Skifliegen in Oberstdorf gestürzt. Wie sicher waren Sie, dass es für Sie mit einem Start reicht?

Gregor Schlierenzauer: Eigentlich war ich mir gar nicht sicher. Allerdings war klar, dass ich nichts mit der Brechstange erzwingen werde, sondern mich in Demut und Geduld übe.

Bei Ihnen ist es gut ausgegangen.

Ja, unter Mithilfe unserer Ärzte und Physiotherapeuten.

Es ist Ihr zweites Comeback in diesem Jahr. Ihre erste Auszeit, die mehr als ein Jahr andauerte, haben Sie selbst gewählt.

Ich habe diese Zeit gebraucht. Sehr lehrreich.

War es auch eine schmerzhafte Zeit?

Schmerzhaft?

Zu sehen, wie die Kollegen von Wettkampf zu Wettkampf ziehen.

Das war nicht schmerzhaft, weil ich die Entscheidung aus eigenem Antrieb gefasst habe, um den Abstand zum Skispringen zu suchen.

Hatten Sie die Lust verloren?

Wenn man über Jahre hinweg permanent in der Weltspitze ist, dann kostet das Energie.

Konnten Sie die nicht aus Ihren Erfolge beziehen?

Ich habe nicht mit sechzehn Jahren, sondern schon mit neun Jahren begonnen, den professionellen Weg im Sport zu gehen. Das ist eine lange Zeit, um in diesem Hamsterrad mit „Schneller, höher, weiter“ drinnen zu bleiben.

Warum stiegen Sie mitten in der Saison aus?

Ich hatte das schon 2013, nach meinem zweiten Sieg im Gesamt-Weltcup, machen wollen. Aber direkt vor einer Olympiasaison ist das schwierig. Ich bin durch meine guten Leistungen in diese Sackgasse gezwungen worden.

Wie leicht ist es Ihnen gefallen, auf den Modus eines normalen Lebens umzuschalten?

Das hat ganz gut geklappt, weil es mein Inneres wollte. Ich habe das andere Leben ja nicht wirklich gekannt, habe mich aber danach gesehnt. Und ich habe es sehr genossen, nicht immer in der Öffentlichkeit zu stehen. Ich bin mit meinen Freunden Kaffee trinken gegangen, ins Kino, habe auch mal die Sau rausgelassen.

Der Hintergrund: Seit 1924 werden die Weltmeister im Skilanglauf, Skispringen und der Nordischen Kombination ermittelt – seit 1985 im Zwei-Jahres-Rhythmus. In Finnland fallen von Donnerstag bis zum 5. März 21 Entscheidungen in elf Tagen. Die meisten Goldmedaillen werden bei den Langläufern vergeben (12), bei den Skispringern gibt es fünf Entscheidungen, bei den Kombinierern vier.

Der Gastgeber: Finnland, einstige Hochburg des nordischen Skisports, steckt im Tief. 2015 holten die Finnen einmal Bronze – das war’s. Die prominentesten Starter sind jetzt die chancenlosen Altstars Ahonen (39/Skispringen) und Manninen (38/Kombination).

Können Sie irgendwo unerkannt hingehen?

Klar schauen und reden mich die Leute an, wenn ich in ein Lokal gehe. Das kann belastend sein, damit muss man lernen umzugehen.

Was hat Ihnen geholfen?

Die Auszeit war wichtig, Zeit mit mir selbst zu verbringen und alles zu reflektieren. Dazu habe ich Ausbildungen zum Mentaltrainer und zum neurolinguistischen Programmieren sowie eine Trainerlizenz gemacht. Und ich habe Gespräche mit Persönlichkeiten führen dürfen.

Mit wem?

Ein ganz tolles Gespräch hatte ich mit Dietrich Mateschitz. (Chef von Red Bull; d. Red.)

Nun springen Sie wieder.

Jetzt kann ich dieses riesige Privileg, Spitzensportler zu sein, wieder richtig genießen.

Gehen Sie heute ein Skispringen anders an als früher?

Das Springen an sich nicht, nur die Bewertung ist anders, weil ich weiß, wie ich damit umzugehen habe. Als Spitzensportler hat man mehrere Phasen. Zuerst hat man das Ziel, in die Weltspitze zu kommen. Dann setzt man sich das Ziel, sich in der Weltspitze zu etablieren. Das ist in meinem Fall auch schnell gegangen.

Und dann?

Dann kommt der Punkt, fairerweise muss man sagen, dass nicht jeder Spitzensportler dahin kommt, dass man die Benchmarks setzt. Das birgt die Gefahr, nur noch aus dem Manko heraus zu leben, weil man sich über den Erfolg definiert. In dieser Phase war ich.

Definieren Sie sich nicht mehr über Ergebnisse?

Gregor Schlierenzauer

Im Winter 2016 zog sich der österreichische Ausnahmespringer nach einer psychischen Krise zurück. Der 27-Jährige wollte raus aus dem Rampenlicht. Zu allem Übel zog er sich beim Skifahren in Kanada noch einen Kreuzbandriss zu. Aber jetzt ist der Sieger der Vierschanzentournee (2012, 2013) zurück.

Ich bin nicht so gestrickt, dass ich nur noch dabei sein will. Beim Skispringen definiere ich mich über Topsprünge.

Seit Ihrem Comeback sprechen Sie davon, dass Sie Geduld haben müssen. Das war jedoch früher nicht Ihre Stärke.

Zu Hause bin ich eigentlich ein sehr ruhiger, geselliger und auch geduldiger Typ. Jeder Mensch braucht seinen Gegenpol. Auch im Spitzensport braucht man einen gewissen Grad an Geduld, aber mit zu viel Geduld gewinnst du nichts.

Sie haben fast alles gewonnen, lediglich Gold bei Olympischen Spielen fehlt noch. Würden Sie, wenn Ihnen das versagt bliebe, Ihre Karriere als nicht perfekt bezeichnen?

Muss die Karriere perfekt sein, um sich wohl zu fühlen?

Und?

Ich will es mal so beschreiben: Als positiv Getriebener will ich mich ständig verbessern und geile Bewegungen spüren. Das macht süchtig, da hast du unglaubliche Adrenalinausstöße.