Einfach der Hammer

Rockerinnen Humorvoll, tiefgründig, wuchtig: Gurr, die Berliner Band der Stunde, spielte im Lido

Die beiden Frauen springen auf der Bühne, schrubben ihre Gitarren, werfen den Kopf hin und her, ein Kreischen ins Mikro, sie singen: „Underage drinking, fucking around, I had to turn thirty before I could be so cool.“ Die Leadsängerin Andreya Casablanca kniet sich vor Laura Lee Jenkins hin, fläzt sich auf dem Boden und hüpft wieder hoch. Die Stimmung im Saal: bombig.

Gurr, die Berliner Band der Stunde, legte am Montagabend im Lido einen Auftritt hin, der einfach der Hammer war – allen voran das Powerduo Casablanca und Jenkins. Wild, frei und unbeschwert spielen sie Rock ’n’ Roll, der klingt, als würden zwei California Girls direkt aus der Garage auf die Bühne stürmen. Da können die zwei Wahlberlinerinnen noch so oft beteuern, wie „scheißnervös“ sie waren und wie sehr sie sich vorher „in die Hose gepisst“ hätten: Beim Konzert ist davon nichts zu spüren. Selbstbewusster und präsenter geht gar nicht. Die Bassistin Sally Brown und der Schlagzeuger Brandon Walsh, die das Quartett beim Auftritt musikalisch komplettieren, wirken geradezu brav und schüchtern neben den zwei Rampensäuen.

Casablanca und Jenkins lernten sich beim Amerikanistik-Studium kennen, tourten mehrmals gemeinsam durch die USA und gründeten ihre Band vor fünf Jahren. Auf den Namen Gurr kamen die zwei Freundinnen, als sie einmal über Jenkins’ Angst vor Tauben sprachen. Ihren Stil bezeichnen sie selbstironisch als „First Wave Gurrlcore“, man fühlt sich auch an die erste Riot-Grrrl-Generation erinnert. Nach einer EP im Jahr 2015 erschien vergangenen Oktober ihr Debütalbum „In My Head“.

Die meisten Songs sind auf Englisch, die Lyrics teilweise überraschend melancholisch. Von der Wehmut bekommt man aber aufgrund der poppigen Melodien kaum etwas mit. Vielleicht trägt aber gerade diese Ambivalenz zur Energie der Songs bei.

Gurrs Texte sind tragisch und komisch zugleich. In „Computer Love“ geht es zum Beispiel um einen Hacker, der sich in seinen Computer verliebt hat: „National Intelligence banging on the door / Should destroy the evidence my love is growing more / I can’t leave my ladyboard we’ve never been apart / Will I ever see her again?“ Die Songs haben einen schnellen Rhythmus, die kraftvolle und patzige Stimme von Casablanca macht gute Laune.

Song für Shania Twain

„Wir spielen jetzt was Romantisches“, kündigt Jenkins an. Aber vorher holt sich Casa­blanca noch ein Bier, sie hatte nämlich noch keins. Den Song „Moby Dick“, der auch als ­Single erschien, singen sie im Duett. Jenkins’ Stimme harmoniert perfekt zu der von Casablanca: „Moby Dick isn’t white anymore / Plenty of colors are stranded at the shore.“ Die andere Single und auf dem Album der einzige Song auf Deutsch heißt „Walnuss“ und ist wunderbar tiefgründig: „Wir nehmen teil an der Belanglosigkeit / Schau mal weg, ich zieh mich aus / Bevor du’s weißt, hab ich mich ausgetauscht.“ Noch mehr Stücke auf Deutsch wären schön.

Vier alte Fernseher – die sie versteigern wollen – stehen auf der Bühne, die jeweils einen Buchstaben von „Gurr“ zeigen. „Wir sind durch ganz Berlin gefahren, um die für euch zu holen!“, sagt Casablanca, und Jenkins stellt eine Quizfrage: „Wer ist der meistverkaufte Künstler aus Kanada? Stand 2012 …“ Eine Person ruft „Céline Dion“ und bekommt einen Fernseher geschenkt. Dann spielt Gurr den ironischen Song „The Tragedy of S. T.“, eine Vertonung des Wikipedia-Eintrags über Shania Twain, der angeblich besten kanadischen Sängerin nach Céline Dion.

Von Gurr wird man noch viel hören. Ihre Aufnahmen überzeugen, live sind die zwei talentierten jungen Frauen kaum zu übertreffen. Mit ihrer leicht durchgeknallten und rotzigen Art begeistern sie das Publikum – erfreulich viele junge Mädchen und Frauen finden sich übrigens unter der Gurr-Anhängerschaft. Als Zugabe gibt’s „Helter Skelter“ und „Komm, gib mir deine Hand“ von den Beatles auf Deutsch: „In deinen Armen bin ich glücklich und froh / Das war noch nie bei einer anderen.“

Julika Bickel