Ist es schlimm, wenn Zeitungen sterben?

NIEDERGANG Die „Frankfurter Rundschau“ insolvent, die „Financial Times Deutschland“ am Ende

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.

Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.

www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune

JA

Helmut Heinen, 67, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger

Zeitungen leisten einen eminent wichtigen Beitrag zur Information der Bevölkerung und vor allem zum Gespräch der Gesellschaft vor Ort, aus dem erst gemeinschaftliches Handeln erwächst. Als Medium genießen Zeitungen das höchste Vertrauen durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten hinweg. Das sieht man schon daran, dass mehr als 18 Millionen Menschen täglich in Deutschland eine Zeitung kaufen und rund 47 Millionen täglich eine Zeitung lesen. Die Zahlen sprechen eindeutig für sich.

Inge Wettig-Danielmeier, 76, kaufte 2004 für die SPD Teile der Frankfurter Rundschau

Wer politisch interessiert ist, wer politisch handeln muss, braucht Zeitungen. Das Internet ersetzt nicht die differenzierte Argumentation, die eine Zeitung nach redaktioneller Diskussion zu den Themen der Welt vortragen kann. Ohne Zeitungen stehen wir den Problemen des Tages unsicher gegenüber. Deshalb bewahrten wir die Frankfurter Rundschau. Das konnte nur mit einem Partner gelingen, weil die Öffentlichkeit keine Zeitung im vollen Parteieigentum geduldet hätte. Die FR ist nicht überschuldet, aber für die Eigentümer nicht mehr finanzierbar. Gäbe es eine Übernahme durch die Belegschaft, wäre ich sehr froh. Das bedeutet aber auch Unterstützung durch Leser, Leserinnen, Belegschaft und Öffentlichkeit.

Axel Fischer (CDU) sitzt der Enquete-Kommission digitale Gesellschaft vor

Eindeutig ja! Vor Jahren wurde Zeitungen und Zeitschriften ein dramatisches Sinken der Anzeigenerlöse und Auflagen prognostiziert. Es kam so. Nun werden papierne Trägermedien von elektronischen abgelöst, Menschen zahlen nur noch für auf sie zugeschnittene Angebote. Aber was fangen wir an mit den unzähligen Informationen, die uns im Netz zur Verfügung stehen? Zeitungen verbreiten Nachrichten, ordnen und gewichten sie. Natürlich ist das immer nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit. Aber es gibt unserer Welt eine Struktur, unserem Handeln eine Agenda. Und ist der Wunsch, dass unsere Kinder neben der Oberfläche eines Touchpads auch das Rascheln von Papier und den Geruch der Druckerschwärze kennen dürfen sollten nur noch banal?

Helga Trüpel, 54, stellvertretende Vorsitzende des Kulturausschusses im EU-Parlament

Zeitungen, print und digital, sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Demokratie, der freien Meinungsäußerung und der Meinungsvielfalt. Darum tut das Sterben von Zeitungen weh. Wir ZeitungsleserInnen müssen bereit sein, auch im Netz für Qualitätsjournalismus zu bezahlen, weil es sonst keine Korrespondenten, keine Recherche mit Muße geben kann. Medienvielfalt und eine freie Presse sind immer wieder zu verteidigen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ungarn, in Italien, in autoritären Staaten erst recht. Die zentrale Frage ist, wie Qualitätsjournalismus in der digitalen Welt aussehen wird und zu welchem Ausmaß es noch eine Koexistenz von Print und Digital geben wird. Digitale Zeitungen werden als Qualitätsangebot ihren Preis haben müssen.

NEIN

Jeff Jarvis, 58, lehrt an der School of Journalism an der City University of New York

Es muss nicht schlimm sein – wenn eine Zeitung den Übergang ins digitale Zeitalter schafft und das, was sie wertvoll macht, übers Internet oder andere neue Wege zu ihren LeserInnen bringt. Wir müssen aufhören, in Nachrichten content zu sehen und damit beginnen, Nachrichten als Service zu betrachten. Das Medium als Plattform, die es einer Community ermöglicht, ihr Wissen zu teilen – durch Daten, Gespräche und Inhalte. Journalisten schaffen einen Mehrwert, indem sie Fakten sammeln, Zusammenhänge herstellen und erklären, Hintergründe erhellen und berichten. Eine digitale Zeitung kann viel effizienter und billiger arbeiten. Und sie kann mit anderen zusammenarbeiten – mit der Öffentlichkeit, mit der Konkurrenz. Eine Zeitung muss auch ihr Verhältnis zu Unternehmen neu definieren: ihnen nicht länger nur knappen Raum auf Papier verkaufen, sondern Dienstleistungen anbieten, die ihnen helfen, bessere Verbindungen zu ihren Kunden aufzubauen. Ich glaube an eine digitale Zukunft für Nachrichten, aber wir können nicht auf sie warten – sonst gehen wir zuerst bankrott.

Harald Schmidt, 55, ist TV-Moderator. Seine Late Night Show läuft auf Sky

Wir müssen doch alle sterben. Warum nicht auch die Zeitungen?

Wolf Bayer, 64, ist Mathematiker, taz-Genosse und Abonnent von Anfang an

Zeitungssterben? Ich bin dafür – aber es müssten die richtigen sterben. Ich denke da an ein großes Verlagshaus am östlichen Ende der Rudi-Dutschke-Straße. Das Verschwinden von Blöd, dem Zentralblatt für Blut und Busen, würde dem Land sicherlich guttun. Das Stoßgebet vieler: „Göttin, schmeiß Hirn vom Himmel“, wäre dann erhört worden.

Rachel Stern, 27, arbeitet für patch.com, ein Onlinemagazin der Huffington Post

Viele Leute beklagen den Verfall von Print-Tageszeitungen, als würde das das Ende des Journalismus bedeuten. Der Journalismus aber stirbt nicht, sondern entwickelt sich – in die digitale Welt. Zeitungen sind bekannt für gründliche Berichte und ihre Fähigkeit, Geschichten aufzudecken. Es wäre eine Tragödie, wenn diese Inhalte – nicht die Zeitungen – verschwinden würden. Das Web kann die Tradition des hochwertigen Journalismus fortführen. In den USA zeigen das mehrere erfolgreiche reine Internetpublikationen.

Michael Herzog, 48, Chemieprofessor, hat die Streitfrage per E-Mail beantwortet

Die Frankfurter Rundschau hat mich, einen leidenschaftlichen Zeitungsleser, nie erreicht. Sie hat das Image von SPD-Redakteuren mit zerbeulten Sakkos, die keinen Hehl daraus machen, alles schon immer radikaler durchdacht zu haben; spaßfreie, angefettete Prinzipienreiter. Natürlich darf eine Zeitung, die keiner liest, eingestellt werden.