EU-Gericht macht es Schleppern leicht

Justiz Der Europäische Gerichtshof verneint die Verpflichtung, Asylsuchenden in Botschaften ein Visum für die Reise in ein Land der EU auszustellen. Geklagt hatte eine syrische Familie, die nach Belgien reisen wollte

Das EU-Asylrecht gilt nur in einem EU-Land, nicht aber in Botschaften

von Christian Rath

WÜRZBURG taz | Die Opfer von Verfolgung und Krieg weltweit haben keinen europarechtlichen Anspruch auf humanitäre Visa. Das entschied am Dienstag der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem spektakulären Verfahren. Für diese Fragen sei der jeweilige EU-Mitgliedstaat zuständig, nicht die EU.

Konkret ging es um den Fall einer syrischen Familie mit drei kleinen Kindern. Sie hatte im Oktober 2016 in der belgischen Botschaft in Beirut ein Visum beantragt, um auf legalem Weg und ohne Schlepper nach Europa reisen zu können. In Belgien wollte die Familie dann Asyl beantragen. Die Familie verwies darauf, dass es in ihrer damals umkämpften Heimatstadt Aleppo und in Syrien allgemein zu gefährlich sei. Als Christen seien sie besonders gefährdet. Der Vater sei bereits von einer Terrorgruppe entführt und gefoltert worden und nur gegen Lösegeld freigekommen.

Das zuständige belgische Gericht – der Rat für Ausländerstreitsachen – legte die Sache dem EuGH vor. Das Gericht wollte wissen, ob die EU-Grundrechte-Charta die EU-Staaten in solchen Fällen dazu verpflichtet, ein humanitäres Visum für die Reise nach Europa zu erteilen.

In einem Gutachten bejahte Paolo Mengozzi, der als EuGH-Generalanwalt das Urteil vorbereitete, Anfang Februar den Anspruch auf humanitäre Visa. Die EU-Grundrechte-Charta sei anwendbar, denn bei Visums-Entscheidungen gelte der EU-Visumskodex, es werde also EU-Recht durchgeführt. Die EU-Staaten müssten deshalb Antragstellern ein Visum für die Einreise erteilen, wenn diese glaubhaft machen, dass ihnen sonst Folter und unmenschliche Behandlung drohen.

Der EuGH lehnte nun aber die Lösung des Generalanwalts ab. Die EU-Richter vermieden dabei eine Antwort auf die schwierige Frage, welche Rolle EU-Grundrechte in Botschaften im Ausland spielen. Das Gericht zog sich auf den formalen Standpunkt zurück, dass für die vom belgischen Gericht aufgeworfene Frage EU-Recht nicht anwendbar sei: Der EU-Visakodex gelte nur für Visa bis zu drei Monaten. Die syrische Familie wolle nach der Einreise aber offensichtlich Asyl beantragen und längerfristig in der EU bleiben. Über solche Visa-Anträge müssten die EU-Mitgliedstaaten nach ihren nationalen Regeln und Grundrechten entscheiden.

Der EuGH erinnerte daran, dass das EU-Asylrecht ausdrücklich nicht in Botschaften gelte, sondern nur innerhalb des EU-Gebiets. Außerdem würde die vom Generalanwalt vorgeschlagene Lösung dazu führen, dass Flüchtlinge sich ihr Asylland aussuchen könnten. Damit würden die Regeln der Dublin-Verordnung unterlaufen, wonach in der Regel derjenige Staat das Asylverfahren durchführen muss, über den der Antragssteller in die Europäische Union eingereist ist.

Der belgische Rat für Ausländerstreitsachen muss über den Visumsantrag der syrischen Familie nun nach belgischem Recht entscheiden.

(Az.: C-638/16*a)