ZAHLTAG Die Handelskammer mit ihren großen Projekten und mondänen Auftritten hatte den Draht zu vielen Firmen verloren und dafür die Quittung erhalten
: Aufstand der Manager

1665: Die Seehandel treibenden Hamburger Kaufleute gründen die „Commerzdeputation“, Vorläuferin der Hamburger Handelskammer, die damit die älteste in ganz Deutschland ist.

1710: Die Commerzdeputierten erhalten Sitz und Stimmrecht in der Hamburger Bürgerschaft.

1735: Die Deputation bezieht Räume am Nikolaifleet. Im selben Jahr wird hier die Commerzbibliothek, die älteste Wirtschaftsbibliothek der Welt, gegründet.

1841: Die neue Börse am Adolphsplatz wird eröffnet und zugleich Sitz der Commerzdeputation.

1867: Die Commerzdeputation benennt sich in „Handelskammer“ um.

1880: Die Zahl der Mitglieder der Handelskammer wird von sieben auf 24 erhöht.

1897: Das rückseitig an das Kammergebäude angebaute Rathaus wird fertiggestellt. Im ersten Stock ermöglicht eine Tür den Kaufleuten und Senatoren den Durchgang von der Kammer zum Rathaus – vom Geldverdienen zum Regieren.

1907: Die Handelskammer erhält das Recht, auch die Industrie zu vertreten.

1919: Ein neues Handelskammergesetz tritt in Kraft. Der Kammer wird das Recht zuerkannt, von allen im Hamburgischen Handelsregister eingetragenen Firmen einen Jahresbeitrag zu erheben.

1935: Die Industrie- und Handelskammer Hamburg wird Geschäftsstelle der „Wirtschaftskammer Nordmark“, die für Hamburg, Lübeck, Schleswig-Holstein, Mecklenburg und Teile Nord-Hannovers zuständig ist.

1937: Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz erweitert sich die Zuständigkeit der Hamburger Kammer auf Altona, Harburg, Wandsbek und Wilhelmsburg. Das langjährige NSDAP-Mitglied Joachim de la Camp wird zum Präsidenten ernannt und setzt sich für die „Arisierung“ jüdischer Firmen ein.

1943: Errichtung der „Gauwirtschaftskammer Hamburg“, die auch die Handwerkskammer und die Wirtschaftskammer Nordmark mit einschließt. Bei schweren Luftangriffen werden Teile des Börsengebäudes zerstört.

1945: Rückbenennung in „Handelskammer Hamburg“ nach Kriegsende.

1956: Durch Bundes- und Landesgesetz erhalten die Kammern wieder den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft.

1992: Eröffnung der Vertretung in Berlin. Es folgen Vertretungen in St. Petersburg (1993) und Kaliningrad (1994), Schanghai (2002) und Dubai (2006).

2014: Erstmals in der Geschichte der Kammer ist in ihrem „Parlament“, dem Plenum, eine Oppositionsgruppe vertreten. Das Bündnis „Die Kammer sind wir“ bringt zwölf seiner 15 Kandidaten durch.

2015: Beim Festakt zum 350. Kammergeburtstag spricht Bundespräsident Joachim Gauck vor mehr als 1.500 geladenen Gästen über den historischen Zusammenhang zwischen freiem Handel, offener Gesellschaft und demokratisch legitimierter Herrschaft: „Alle drei gehören zusammen“, so Gauck.

17. 2. 2017: Bei den Wahlen zum Plenum der Handelskammer erringt das Bündnis „Die Kammer sind wir“ einen spektakulären Sieg. Die Kammerkritiker stellen 55 der 58 gewählten Vertreter im neuen Plenum. Die Wahlbeteiligung liegt mit 17,6 Prozent fast doppelt so hoch wie bei der Wahl 2014 und ist damit die höchste bei Kammerwahlen in Deutschland.

von Gernot Knödler

Das Ergebnis der Wahl zum Plenum der Hamburger Handelskammer ist so, als hätten die Grünen Knall auf Fall 630 von 660 Sitze im Deutschen Bundestag gewonnen. Die Erklärungen, wie es zu diesem Umsturz der Verhältnisse kommen konnte, reichen vom Versprechen der Kammerrebellen, die Zwangsbeiträge abzuschaffen, über den fehlenden Kontakt der alten Kammer zu kleinen Unternehmen bis hin zu mieser Kommunikation und Hochmut.

Den Takt vorgegeben hatte vor der Wahl Johann Killinger, der geschäftsführende Gesellschafter der Logistik-Gruppe Buss: „Eine Organisation, die ihren Mitgliedern nicht mehr ihren Nutzen beweisen muss, läuft Gefahr, die Interessen ihrer Mitglieder aus den Augen zu verlieren“, sagte er im November. Damals präsentierte das oppositionelle Bündnis „Die Kammer sind wir“ eine Reihe namhafter Unterstützer – ein Alarmzeichen. Zwei Wochen später meldeten sich zwei weitere, an der Erhaltung des Status quo orientierte Bündnisse zu Wort, die sich aber nicht durchsetzen konnten.

Minou B. Tikrani von „Unternehmer für Hamburg“, einem dieser Bündnisse, erklärt den Erfolg der Kammerrebellen mit deren organisatorischem Vorsprung. Die beiden anderen Gruppen hätten sich kurzfristig zusammengefunden, seien schlechter finanziert und weniger kampagnenfähig gewesen.

Es seien keineswegs große Summen im Spiel gewesen, widerspricht Kai Elmendorf vom Verein für Demokratie und Transparenz in Kammern, der die Rebellen unterstützt hat. 43 Spender hätten zusammen 54.000 Euro aufgebracht. „Für den gesamten Wahlkampf wurde keine Agentur beauftragt“, sagt Elmendorf. Vielmehr habe der unermüdliche Einsatz aller Kandidaten maßgeblich zu dem Wahlergebnis beigetragen.

Kunststück, findet Tikrani: „Die kamen mit Freibier für alle.“ Von diesem billigen Versprechen habe sich die Unternehmerschaft über den Tisch ziehen lassen – auch wenn 18 Prozent zwar eine rekordverdächtige, aber immer noch sehr geringe Wahlbeteiligung sei. „Das, was wir jetzt sehen im Plenum, ist nicht das Abbild der Hamburger Wirtschaft“, behauptet sie. Allerdings haben sich die Rebellen in allen Wahlgruppen, die die verschiedenen Branchen repräsentieren, durchgesetzt.

Die Zwangsbeiträge, die alle Unternehmen für die Kammer bezahlen müssen, scheinen einigen im Magen gelegen zu haben. „Das sind natürlich die Kosten, die viele bezahlen müssen, die wenig oder gar nichts davon haben“, sagt Walter Schmid, Geschäftsführer von Global Fleisch. Er selbst sei gar nicht unzufrieden, auch wenn die Kammer vielleicht das eine oder andere ändern könnte, etwa in puncto Transparenz, wie er andeutet.

„Ich habe horrende Beiträge bezahlt, ohne etwas zu bekommen“, ärgert sich dagegen Susanne Kazemieh von der Frauen-Finanz-Gruppe. Wie andere wirft die Finanzberaterin der Handelskammer Arroganz im Umgang mit kleinen und mittelgroßen Unternehmen vor. „Ich habe den Eindruck, dass sich die großen Unternehmen die Bälle zuspielen“, sagt sie. Bei einem Unternehmerinnenkongress vor einigen Jahren habe sie teuer für einen guten Standplatz bezahlt, nur um in eine Ecke abgeschoben zu werden, weil im Kammergebäude gerade das Jubiläum eines großen Unternehmens vorbereitet wurde. „Das ist die Wertschätzung, die Unternehmerinnen entgegengebracht wird“, sagt Kazemieh.

Ähnlich sieht das Kazim Abaci vom Verein „Unternehmer ohne Grenzen“. Die eher kleinen, überwiegend von Einwanderern geführten Mitgliedsfirmen hätten nicht den Eindruck, dass die Handelskammer ihre Interessen vertrete. „Die bisherige Führung hat die Initiativen, die sich der Förderung von Unternehmen widmen, als Konkurrenz gesehen, statt sie zu unterstützen“, sagt Abaci.

Die Kammerbeiträge seien gar nicht das Thema, findet Michael Bruhns von der Lagereigesellschaft Werner Bruhns. Vielmehr sei „das selbstgefällige Auftreten der Kammer kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber gewöhnungsbedürftig“. Dabei werde die Kammer durchaus gebraucht, etwa um die Belange der Hamburger Unternehmen bei der EU oder dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag zu vertreten.

Richtig schief gegangen zu sein scheint jedenfalls die Krisenkommunikation der Kammerführung. Er habe das Wahlergebnis erwartet, sagt Werner Marnette, der als Chef der Hamburger Kupferhütte Aurubis lange Jahre Mitglied im Präsidium war. „Schon allein wie unglücklich die öffentliche Diskussion in den vergangenen zwei Jahren über das Gehalt des Hauptgeschäftsführeres Hans-Jörg Schmidt-Trenz geführt wurde …“, sagt er. Hier wäre ein klare Statement des Präses Fritz Horst Melsheimer nötig gewesen, um die Debatte zu beenden, findet Marnette.

Das Wahlergebnis sehe er mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Die Handelskammer ist in der gesamten Kammerlandschaft ein Leuchtturm“, sagt der Manager im Ruhestand. Jetzt gelte es, Missstände zu beseitigen und dabei die Stärke der Kammer – auch in der Wirtschaftspolitik – zu halten.