Augsburger Parteigericht

Theater Das Brecht-Festival in Augsburg gibt sich einen sehr zeitgenössischen Anstrich. Am Wochenende zeigte Selcuk Cara seine Adaption des Stücks „Die Maßnahme“

Ins Licht gesetzt wie in einer klassischen griechischen Tragödie: Szene aus „Die Maßnahme“ Foto: Nik Schoelzel

von Annette Walter

Die Zeichen stehen auf Umbruch, und das ist schon mal eine gute Nachricht vom Brecht-Festival in Augsburg. Der Grund: Der Berliner Regisseur und Schauspieler Patrick Wengenroth hat nun die Verantwortung darüber, wie der berühmteste Sohn der beschaulichen Stadt auf der Bühne in Erinnerung gebracht wird.

Wengenroths Auftakt weckt Interesse: etwa mit einer Diskussion mit der britischen Feministin Laurie Penny oder dem Gastspiel von Simone Dede Ayivis „First Black Woman in Space“, aber auch mit ungewöhnlichen Spielorten. Die spektakulärste Wahl ist ein mittlerweile stillgelegtes Gaswerk in einem Industriegebiet im Augsburger Stadtteil Oberhausen. Dort inszeniert Opernsänger Selcuk Cara Brechts Lehrstück „Die Maßnahme“, das Stück über den Mord einer Gruppe russischer sogenannter Agitatoren an einem Genossen, der die kommunistische Idee durch sein Handeln gefährdet haben soll. Für diese „Maßnahme“ müssen sie sich vor einem Parteigericht verantworten.

Den Ort der Aufführung erreicht der Theaterbesucher nach dem Durchschreiten eines imposanten Torgebäudes, das den Blick auf den prachtvollen Mittelbau der historischen Fabrikanlage öffnet. Eine Frauenstimme tönt aus Lautsprechern und dirigiert einen zu einem schmalen Zelt aus weißen Plastikplanen. Dort drängeln sich die Besucher und werden in die Rolle des geduldig um Zutritt Bittenden versetzt. Ein Ritual, das mit einem an die Wartenden verteilten Foto illustriert wird: Es zeigt die Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen durch die Organisation SOS Méditerranée.

Nun steht man in einer von Kunstnebelschwaden durchzogenen Halle, in der sich die Zuschauer, von Absperrbändern gegängelt, an einem Gitterzaun entlang bewegen. An den Zaun klammern sich auf der anderen Seite etwa zwanzig junge Frauen in schlichten weißen Gewändern. Zuerst richten die Eingeschlossenen zögernd flüsternde Fragen, dann immer lautere Zurufe an die Vorbeidriftenden. Sie skandieren „Was ist ein Mensch?“ oder „Bist du ein Mensch?“, bis sich schließlich alle in dem Schrei „Unser Ansatz ist richtig“ vereinen.

Zum Hauptteil des Stückes wechselt man in das Halbdunkel einer mit historischen, messingfarben schimmernden Maschinen bestückten Fabrikhalle. Die Zuschauer verfolgen stehend oder von schmalen Sitzbänken aus das Geschehen. Seine Akteure inszeniert Selcuk Cara wie in einer klassischen griechischen Tragödie: zwei Frauen (Katharina Rivilis und Luise Wolfram) in langen, fließenden weißen Gewändern, die Männer (Volker Zack Michalowski, Florian Mania) in schlichten Hemden und Kniehosen. Die vier Protagonisten bewegen sich auf der erhöhten Bühne meist in geometrisch anmutenden Bahnen und wechseln ihre Positionen wie in einem Schachspiel. Es gibt weder Bühnenbild noch Requisiten. Allein die gelungene Lichtregie rückt den Sprechenden je nach Einsatz ins Scheinwerferlicht.

Kann uns dieses Lehrstück heute noch packen?

Es ist ein Verdienst von Caras Inszenierung, dass er es schafft, den Zuschauer mit seinem düsteren und strengen Kammerspiel in eine ähnlich beklommene und ausweglose Stimmungslage wie den jungen Genossen zu versetzen. Ohne Aussicht auf Rettung beteuert er seine Linientreue: „Mein Herz schlägt für die Revolution. Der Anblick des Unrechts trieb mich in die Reihen der Kämpfer. Der Mensch muss dem Menschen helfen. Ich bin für die Freiheit. Ich glaube an die Menschheit. Und ich bin für die Maßnahmen der kommunistischen Partei, welche gegen Ausbeutung und Unkenntnis für die klassenlose Gesellschaft kämpft.“

Doch was fehlt, ist der aktuelle Bezug. Kann uns dieses Lehrstück heute noch packen? An diesem Abend gelingt das nicht. Wie stehen wir zu den Personen, die von der Ideologie einer Partei vereinnahmt werden und für sie in den Tod gehen? Sie lassen uns in diesem Stück kalt. Es bedürfte einer größeren Transferanstrengung, von Brechts Handlung auf unsere Zeit zu schließen. Das ist die Crux dieses Theaterabends, der viel will, aber nicht unter die Haut geht. Wir sehen Menschen, die deklamieren statt zu interagieren, die den Brecht-Text originalgetreu wiedergeben, aber nicht interpretieren. Auch der Bezug der anklingenden Flüchtlingsproblematik zu Brechts Stück bleibt unklar.

So bemüht etwa die Darstellung von Katharina Rivilis als der „junge Genosse“ ist, so sehr wünscht man sich eine Schonung ihrer Stimmbänder. Zumindest verleiht die wuchtige Begleitmusik von Hanns Eisler dem Stück zusammen mit dem Chor Oratoriencharakter, verhinderte aber auch über lange Strecken das Textverstehen.

Eines der wenigen Stilmittel, die sich Cara erlaubt, quasi als eingestreutes „Comic Relief“, ist die plötzliche Ankündigung einer Diskussion, wenn die vier Hauptpersonen in empathischer Zuwendung von den Zuschauern einfordern, vorzuschlagen, „was der junge Genosse tun solle“. Es versteht sich, dass auch gut gemeinte Zurufe aus dem Publikum das Schicksal des Verlorenen nicht aufhalten können. Leider wirkt Brechts Idee der Verfremdung an diesem Abend lediglich noch als klamaukiges Zitat.

Brecht-Festival Augsburg, noch bis 12. März, Infos: www.brechtfestival.de