Gefälschte Politiker sind die lustigsten

SatireDer traditionelle Starkbieranstich auf dem Nockherberg bringt das „Scheining“ auf die Bühne

Starkbierwitz: Wer ist die echte Wagenknecht? Foto: Hase/picture alliance

MÜNCHEN taz | Die Lobby eines etwas verranzten Münchner Vorstadthotels, ein buckliger Portier, illustre Gäste aus Landes- und Bundespolitik. Und jede Menge Fälschungen. Schein und Sein scheinen im Wettlauf zu sein. „Scheining“ eben. Denn so heißt das diesjährige Singspiel auf dem Münchner Nockherberg.

„Wir dürfen das Fälschen nicht den Rechten der Welt überlassen“, sagt Florian Pronold. Und so plant der bayerische Noch-SPD-Chef gemeinsam mit dem Grünen Anton Hofreiter und der Linken Sahra Wagenknecht Diabolisches: Die Spitze der CSU soll mittels manipulierter Klone ausgetauscht werden. Als Falle wird in dem Hotel ein Festakt ausgerichtet: „60 Jahre Opposition in Bayern“. Denn: „Wenn sie uns demütigen können, dann kommen sie immer.“ Wahrheit und Lüge, Realität und Gefühl, Politiker und Doubles, alles verschwimmt. Am Ende widersetzt sich nur einer dem Postfaktischen: der Salvator. Das Bier ist unzweifelhaft echt. Ein Doppelbock mit einer Stammwürze von 18,3 Prozent und einem Alkoholgehalt von 7,9 Prozent. Denn eigentlich ist das Ganze hier nichts anderes als die Werbeveranstaltung einer Brauerei. Eigentlich. Uneigentlich ist der Paulaner-Starkbieranstich eine Institution.

Seit Jahrzehnten pilgert die Spitze der bayerischen und mitunter auch der Bundespolitik hierher, um sich satirisch aufs Korn nehmen, sich „derblecken“ zu lassen. Rund zwei Millionen Fernsehzuschauer verfolgen das Spektakel allein in Bayern. Kleinkunst auf ganz großer Bühne. Selten hängt so viel Wahrheit im Dunst des Biers. Was davon hängen bleibt? Glückssache.

Es gibt sogar Leute, die glauben, ohne sein sympathisches Double Stefan Zinner wären die Beliebtheitswerte von Markus Söder niedriger. Fast liebenswert auch Angela Merkel und Martin Schulz. Nachts sitzen sie gemeinsam in der Hotellobby auf dem Koffer der Kanzlerin und teilen sich einen Joint. „Frau Merkel“, fragt Schulz, „ist Kanzler eigentlich schwierig?“

Der große Erfolg des lange Zeit etwas altbackenen Singspiels liegt auch daran, dass wieder ein Regisseur am Werk war, dem man in Bayern stets die Vorsilbe Kult verpasst: Marcus H. Rosenmüller. Gemeinsam mit Autor Thomas Lienenlüke bringt er ein Pointengewitter auf die Bühne, einen musikalischen Einakter irgendwo zwischen Brecht, Dschingis Khan und Verwechslungskomödie. Komponist Gerd Baumann liefert die Musik dazu, die mehr trägt als untermalt.

Schwer hat es da die grundsympathische Kabarettistin Luise Kinseher alias Bavaria, die davor den Politikern die Leviten lesen soll. Sanftmütig und pointenarm ist ihre Rede. Im vergangenen Jahr wurde ihr von den CSU-Politikerinnen Barbara Stamm und Emilia Müller Frauenfeindlichkeit vorgeworfen, nachdem sie weibliche Kabinettsmitglieder als Hendl, Kellerprimel und blindes Huhn bezeichnet hatte. Die beiden boykottieren nun den Nockherberg. Ilse Aigner dagegen, die Kellerprimel, ist da und amüsiert sich dem Anschein nach prächtig.

Am Ende stehen sie dann alle zusammen auf der Bühne, die Politiker und ihre Doubles. Darunter auch Sahra Wagenknecht. Gleich in vierfacher Ausführung: die echte, die falsche und zwei Klone. Im Saal gibt es Standing Ovations.

Und das Kanzlersein? Auch nicht schwieriger als rückwärts einparken, findet Merkel. Aber: „Deutschland ist noch nicht bereit für einen Mann als Kanzlerin.“ Dominik Baur