Editorial

Romane lesen macht Spaß. Es ist schön, sich in Welten entführen zu lassen, die sich jemand ausgedacht hat und allein mit Worten im Kopf anderer Menschen etwas evoziert. Literatur, das ist immer auch die intime Verbindung zwischen zwei Gehirnen, zwei Erfahrungsräumen. Eben deswegen ist gute Literatur aber mehr als bloßes Vergnügen. Sie regt uns zum Nachdenken an, ist manchmal auch dazu angetan zu verstören. Letzteres kann nützlich sein, um die Blase gewohnter Sichtweisen zu verlassen und einen anderen, weniger von Klischees und Vorurteilen getrübten Blick auf die Welt um uns herum einnehmen zu können.

Anke Stellings „Fürsorge“ ist so ein Buch. Es handelt von der Einsamkeit in einer Gesellschaft, in der tadelloses Funk­tio­nie­ren mindestens so wichtig zu sein scheint wie Zuneigung, Liebe und eben: Fürsorge.

Für das Sachbuch ist die turbulente Gegenwart eine gute Gegenwart. Die neuen, vielen Autokratien, ihr bizarrer Kampf gegen die Meinungsfreiheit und gegen die plurale Gesellschaft, geben genügend Material, das es zu untersuchen gilt. Vielleicht ist es nur das letzte Aufbäumen der Autoritären und Rückwärtsgewandten, das wir gerade erleben. Anstatt nur über sie zu sprechen, müssen wir auch die Gegenstimmen hören und lesen, etwa die türkische Autorin Aslı Erdoğan, deren Essays nun endlich auf Deutsch vorliegen. Dass die Islamfaschisten und die xenophoben Rechten, die uns auch in Deutschland beschäftigen, viel gemeinsam haben, zeigt Volker Weiß’ in seinem Buch „Die autoritäre Revolte“, das unbedingt zu empfehlen ist.

Ulrich Gutmair UNDTania Martini