Sicherheit in der Energieversorgung: Wie man Windparks intelligent macht

Künftig müssen Windräder und Windparks sich selbstständig regulieren, um so das öffentliche Stromnetz zu stabilisieren.

Windkraftanlagen in der Nordsee

Zur Selbststeuerung müssen die Windräder wissen, ob die Stromnetze ausgelastet sind Foto: dpa

BERLIN taz | Im Alltag profitiert man von Kugellagern, wenn sich die Felgen am Fahrrad drehen. Dieses Lager hier hat einen Durchmesser von etwa zwei Metern. Die Kugeln – Hunderte an der Zahl – in dem runden, stählernen Mechanismus sind so groß wie Tischtennisbälle. Waagerecht liegt das Teil im Teststand von Horst Schulte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. Orangefarbene Kabel führen zum Computer, der die Kräfte registriert, die im Innern wirken.

Die können enorm sein, beispielsweise bei Windstärke 8 auf der Nordsee. Denn solche Kugellager bilden die Verbindung zwischen 40 Meter langen Rotorblättern und den Naben von Windrädern. Auf dem Teststand versucht Schulte herauszufinden, wie sich der Verschleiß der Maschine reduzieren lässt.

Das ist eine Facette eines durch das Bundeswirtschaftsministerium finanzierten Forschungsprojektes, bei dem die HTW mit dem Windanlagenhersteller Senvion kooperiert. Der Auftrag lautet: Entwerfen Sie eine elektronische Steuerung, damit Windparks das öffentliche Stromnetz so stabilisieren, wie es heute Braunkohle-, Steinkohle- und Atomkraftwerke tun. „Wir definieren grundlegende Regeln für den künftigen Betrieb von Windanlagen“, sagt Schulte.

Er ist ein 49-jähriger Professor mit Zopf, schwarzem Hemd und Jeans. 13.000 junge Leute studieren an der HTW, rund 9.000 von ihnen im südöstlichen Stadtteil Oberschöneweide, wo Schulte arbeitet. Aus seinem Büro im sechsten Stock streift der Blick über die Spree und die gelblich verklinkerten Gründerzeit-Fabrikhallen der früheren Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG). Zu Fuße des Bürohochhauses werden auch heute noch Elek­tro­kabel gefertigt. Fünf Minuten entfernt steht die Patriarchenvilla Erich Rathenaus, eines Sohnes des AEG-Gründers und Bruder des 1922 von Rechten ermordeten Außenministers Walther Rathenau.

Neue Algorithmen

Schulte und seine Doktoranden sind mit ihren Entwicklungen ziemlich weit vorne. In seinem Büro präsentiert er ein graues Kästchen von der Größe eines Ein-Liter-Tetrapaks: „die elektronische Zentrale einer Windenergieanlage“. Die Wissenschaftler arbeiten an neuen Algorithmen, mathematischen Formeln, die später einzelne Windanlagen und ganze Windparks automatisch steuern.

Die Herausforderung: Die Windparks sollen sich selbst so regulieren, dass Spannung und Frequenz im öffentlichen Stromnetz konstant bleiben. Bisher übernehmen diese Funktion die großen Kraftwerke mit ihren riesigen Turbinen, die tagein, tagaus die immer gleiche Grundlast in die Höchstspannungsleitungen pumpen.

Schulte: „Die Windparks müssen merken, was im Stromnetz um sie herum los ist, und selbsttätig darauf reagieren.“

Wenn beispielsweise Sturm aufkommt, soll die Steuerung registrieren, dass die eingespeiste Strommenge zu groß wird, und dann die Rotorblätter am Kugellager ein paar Grad aus dem Wind drehen. Dadurch lässt sich das Energieangebot reduzieren.

Wie wichtig es ist, den Ökokraftwerken diese Selbststeuerung beizubringen, zeigt ein Vorfall, der sich am 4. November 2006 ereignete. Weil ein neues Kreuzfahrtschiff der Meyer Werft von Papenburg die Ems abwärts in Richtung Nordsee bugsiert werden sollte, hatte man eine kreuzende Kabeltrasse vom Netz genommen. Es kam zu Missverständnissen zwischen den Elektrizitätsunternehmen E.ON und RWE, schließlich zur Überlastung und Notabschaltung von Ausweichstrecken.

Stundenlange Stromausfälle für bis zu zehn Millionen Haushalte waren die Folge – Blackout

Stundenlange Stromausfälle für bis zu zehn Millionen Haushalte waren die Folge – Blackout. Als eine Ursache galt, dass rund 10.000 Megawatt Energie aus den Windparks im Norden unreguliert in die Leitungen drückten.

Um solche Zusammenbrüche zu vermeiden, arbeiten Schulte und seine Kollegen an mehreren Elementen. Zum einen untersuchen sie den mechanischen Antrieb von Windkraftwerken. Das soll einen schonenden und kostengünstigen Betrieb ermöglichen.

Zweitens entwickeln sie die Algorithmen der Steuerung. Drittens werden sie ab Sommer diesen Jahres auf einem neuen Prüfstand ein Miniaturstromnetz aufbauen. Per Computersimulation wollen sie darin mehrere Windparks einbinden und so die Wechselwirkung studieren. Am Ende muss herauskommen, dass jedes Windkraftwerk und jeder Windpark ein intelligenter Bestandteil des öffentlichen Stromnetzes wird – und es stabilisiert, ohne dass Menschen eingreifen.

„In drei Jahren wollen wir das Projekt abschließen“, sagt Schulte, „dann sind wir einen großen Schritt weiter.“ Bis die moderne Steuerungstechnik in der Praxis zum Einsatz kommt, dürfte es allerdings noch mindestens fünf Jahre dauern.

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