Syrien

Zu Beginn der Syriengespräche sorgen Berichte von Giftgaseinsatz und Bombenangriffen für Entsetzen

Luftangriffe auf Krankenhäuser

Kriegsverbrechen Dutzende Tote bei mutmaßlichem Giftgasangriff in Syrien. Stunden später soll ein Krankenhaus, in dem die Opfer behandelt wurden, bombardiert worden sein. Das Assad-Regime bestreitet das

War Giftgas im Spiel? Ein Luftangriff am Dienstagmorgen verletzte Hunderte und tötete unter anderem 11 Kinder Foto: Edlib Media Center/dpa

von Jannis Hagmann

BERLIN taz | Die Bilder könnten grausamer kaum sein. Wie geschlachtetes Vieh liegen die Kinder auf der Ladefläche eines Pickup-Trucks nebeneinander, mit Decken zugedeckt, bei Sonnenschein.

Mindestens 11 Kinder sollen bei dem Luftangriff auf den Ort Chan Scheichun in der syrischen Provinz Idlib am Dienstagmorgen getötet worden sein, bei dem vermutlich auch Giftgas zum Einsatz kam. Insgesamt seien 58 Menschen ums Leben gekommen. Dies berichtete unter anderem die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London unter Berufung auf Quellen vor Ort. Vertreter der Hilfsorganisation Weißhelme berichten von 240 Verletzten.

Bei den Opfern seien typische Symptome wie Atemprobleme, verengte Pupillen, Zuckungen und Schaum vor dem Mund aufgetreten. Die Beobachtungsstelle sowie die oppositionelle Syrische Nationalkoalition machten für die Bombardierung das syrische Regime und seine Verbündeten verantwortlich. Die syrische Luftwaffe wies den Einsatz von Giftgas zurück.

Ärzte sollen um das Überleben zahlreicher Menschen ­gekämpft haben

Indes berichtete die regierungsnahe Nachrichten-Website Masdar News ebenfalls von Angriffen der syrischen Luftwaffe auf Chan Scheichun. Dem Bericht zufolge habe diese aber keine chemischen Kampfstoffe eingesetzt, sondern eine Giftgasfabrik islamistischer Rebellen getroffen.

Auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini beschuldigte das syrische Regime. Am Rande einer Syrien-Hilfskonferenz in Brüssel (siehe Kasten) bezeichnete sie den mutmaßlichen Giftgasangriff als „entsetzlich“. Die Verantwortung für die Tat liege „offensichtlich“ beim Regime, da dieses die Verantwortung habe, „sein Volk zu schützen und nicht anzugreifen“. Frankreich beantragte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats. Die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) kündigte an, den Fall zu prüfen.

Ob bei dem Angriff tatsächlich das Nervengift Sarin eingesetzt wurde, wie die Rebellengruppe Freie Syrische Armee (FSA) und der Chef von Idlibs Gesundheitszentrum, Munsir Chalil, berichteten, ist unklar. Mit diesem Nervengift hatte das Assad-Regime in dem bislang schwersten C-Waffen-Einsatz des Syrienkriegs im August 2013 Hunderte Zivilisten östlich von Damaskus getötet.

Nur kurze Zeit nach dem Angriff in Chan Scheichun setzten Kampfjets die Bombardierung der Stadt am Dienstagvormittag fort. Dabei wurde auch ein Krankenhaus unter Beschuss genommen, in dem die Opfer des morgendlichen Angriffs behandelt wurden. Im Inneren sollen zu diesem Zeitpunkt Ärzte um das Überleben zahlreicher Menschen gekämpft haben.

Bereits am Sonntag war ein Krankenhaus in Maaret al-Numan bombardiert worden. Aus der benachbarten Provinz Hama waren in den vergangenen Tagen zwei Angriffe gemeldet worden, bei denen Chlorgas zum Einsatz gekommen sein soll. Ein weiterer Chlorgaseinsatz soll am Montagabend in dem wenige Kilometer von Chan Scheichun entfernten Ort al-Hubait stattgefunden haben, berichtete die FSA. Helikopter hätten in dem Ort Kanister abgeworfen, die das Giftgas enthielten.

Die Rebellen verfügen über keine Flugzeuge. Die syrische Luftwaffe hingegen wird von russischen Jets unterstützt. Doch das russische Verteidigungsministerium erklärte am Dienstag, es habe um die Stadt Chan Scheichun keinerlei Luftangriffe geflogen.

Appell: Mit einem Aufruf zu weiterer humanitärer Hilfe für Syrien hat am Dienstag in Brüssel ein Treffen von 70 Staaten und Organisationen begonnen. Das Ausmaß des Leidens erfordere mehr Handeln, sagte der für Krisenreaktion zuständige ­EU-Kommissar Christos Stylia­nides.

Konferenz: Zur der zweitägigen Konferenz haben die EU, die UN, Deutschland, Kuwait, Katar, Großbritannien und Norwegen eingeladen. Am Mittwoch wird in Brüssel unter anderem Außenminister Sigmar Gabriel erwartet.

Leere Versprechen: Bei einer Geberkonferenz in London im Februar 2016 wurden rund 10 Milliarden Dollar bis Ende 2018 zugesagt, davon 4,63 Milliarden für 2017. Davon haben die UN bislang aber nur 433 Mil­lionen erhalten – weniger als 9 Prozent.

Bedarf: Das Geld wird benötigt für die 5,5 Millionen syrischen Flüchtlinge im Ausland, acht Millionen Binnenvertrieben sowie zur Stabilisierung Jordaniens, des Libanon und des Irak. (dpa, azu)

Die Provinz Idlib gehört zu den Hochburgen der Rebellen. In den vergangenen Tagen hatten Kampfjets verstärkt Luftangriffe nördlich der Stadt Hama nahe Idlib geflogen.

Eigentlich gilt in Syrien eine Waffenruhe, die auf Betreiben Russlands und der Türkei im vergangenen Dezember vereinbart worden war. Ausgenommen davon sind der „Islamischer Staat“ (IS) und die Al-Qaida-nahe Organisation Tahrir al-Scham. Letztere herrscht über weite Teile der Provinz Idlib, sie ist aber nicht die einzige Miliz in der fast vollständig von Rebellen kontrollierten Region.