Kriegsheimkehrer und Petticoat

ZEITGESCHICHTE Mit „Endlich wieder leben“ erzählt Helga Hirsch die fünfziger Jahre aus Sicht der Frauen. In der Urania stellte sie ihr neues Buch vor

Die altvertrauten Wertemuster Ehe und Familie

Die fünfziger Jahre waren ein Jahrzehnt der Gegensätze: Petticoat und Wohnungsnot, Kriegsheimkehrer und Nierentische. Mit viel Schwung, vor allem in der Wirtschaft, startete wenigstens Westdeutschland in das Jahrzehnt, das aber nicht nur von Fortschritt und Konsum geprägt war, sondern auch von Prüderie, Enge und Verdrängung der NS-Zeit.

Wenn Christina Thürmer-Rohr an die fünfziger Jahre denkt, dann haben diese für sie nichts mit dem Wirtschaftswunder und dem Aufschwung zu tun. Für sie war es die Zeit der Wünsche und Sehnsüchte nach einem anderen Leben. Sie ist 1936 geboren, ihr Vater stirbt als Soldat an der Ostfront, danach zieht ihre Familie nach Westfalen zu ihrer Großmutter. Dort erlebt sie, wie ihre Mutter aus der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt wird, weil sie eine Kriegerwitwe ist.

Der Verlust des Vaters und Ehemannes zeigt eine der hässlichen Seiten des Krieges, die niemand mehr sehen will in den Fünfzigern. Die Menschen tun sich mit dem Trauern schwer. Die Geschichte von Thürmer-Rohr ist eine von den neun Lebensgeschichten, die Helga Hirsch in ihrem Buch „Endlich wieder leben“ zu einem Bild der fünfziger Jahre aus der Sicht von Frauen verdichtet. Am Montag stellte die Journalistin es in der Urania vor.

Für die Frauen waren die Fünfziger zweifelsfrei eine Herausforderung. Soeben ersetzten sie im Krieg noch die Arbeitskraft der Männer, und dann wurden sie auch schon wieder von ihren Positionen durch die heimkehrenden Soldaten verdrängt. Doch sowohl Frauen als auch Männer waren nicht mehr die gleichen wie vor dem Krieg. Oft verachteten die Frauen ihre Männer und blieben nur aus Mitleid an deren Seite. Die Männer waren nicht nur körperlich durch ihre Erfahrungen im Krieg gebrochen. Viele Ehepaare ließen sich scheiden. Die Bundesregierung fürchtete schnell um die altvertrauten Wertemuster Ehe und Familie und versuchte durch eine restriktive Gesetzgebung den Männern wieder die Zügel in die Hand zu geben und die Frauen zurück in die Küche zu verbannen.

Zwar waren laut Grundgesetz Frauen und Männer gleichberechtigt, doch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) erkannte die Gleichberechtigung der Frauen keineswegs an. Zu Beginn der fünfziger Jahre hatte der Mann die völlige Verfügungsgewalt über seine Frau, bestimmte Wohnort und konnte Verträge der Frau ohne weiteres kündigen. Das änderte sich erst 1958 mit einer Reform des BGB.

In der DDR herrschte hingegen ein anderes Rollenverständnis: Zwar weichten die alten Muster auch hier nur langsam auf, und die Frauen machten oft wieder Platz für die Männer und kehrten an den Herd zurück, wie Helga Hirsch in der Urania berichtete. Doch die Rahmenbedingungen waren andere: Frauen verdienten schon seit 1946 genauso viel wie die Männer und durften auch ohne Einwilligung ihrer Ehepartner arbeiten gehen.

Die Menschen tun sich mit dem Trauern schwer

Mit ihrem Buch gibt Helga Hirsch einen detaillierten Einblick in die fünfziger Jahre in Ost und West. Die verschiedenen Pole, die im Buch durchscheinen, machen die qualvolle Lage der Frauen deutlich: auf der einen Seite der Wille, Grenzen durchbrechen zu wollen, auf der anderen Seite die Gebrochenheit und das „sich fügen müssen“.

Durch die Verknüpfungen der Sachtexte mit den neun exemplarischen Lebensgeschichten derjenigen, die in den fünfziger Jahren erwachsen wurden, entsteht ein mitreißender Einblick in die Welt der Frauen von damals, die vor allem eines wollten: die Freiheit spüren und nach vorne blicken. CHRISTINA STEENKEN

■ Helga Hirsch: „Endlich wieder leben“. Siedler Verlag, 288 Seiten, 19,99 Euro