Eine junge Kurdin, die 2014 vor der CSU-Zentrale in München demonstriert. Die Fahne der YXK war damals noch erlaubt Foto: Andreas Gebert/picture alliance

Terror auf dem Campus

Fahnen Insgesamt 33 Symbole der PKK sind verboten. Dazu gehört seit Kurzem auch das Zeichen der kurdischen Studierenden-gruppe YXK. Doch die will sich nicht an das neue Verbot halten

von Ralf Pauli

Das Wort, das Malou Demir und Hevi Yılmaz in der Stunde vor der Filmvorführung im Berliner Eiszeitkino am häufigsten verwenden, lautet „kriminalisiert“. Es fällt, wenn es um kurdische Organisationen in Deutschland geht, es entfährt den beiden Studentinnen, wenn sie an die Raumvergabe an der Uni denken. Und man hört es, wenn man nach dem aktuellen Verbot mutmaßlicher PKK-Symbole fragt. „Wir lassen uns aber nicht kriminalisieren. Nicht von den Unis und nicht von der Bundesregierung“, sagt Yılmaz, eine zierliche Frau mit fester Stimme. Seit zwei Jahren ist die 23-Jährige bei der Berliner Hochschulgruppe Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) aktiv. Ihre Freundin Malou Demir nickt zustimmend.

Wie ernst die beiden es mit der Ankündigung meinen, sieht man an den Flyern auf dem Tisch, die sie später hier, im Kinofoyer, verteilen wollen – und damit bewusst eine Straftat begehen. Das liegt an dem kreisrunden Symbol in leuchtendem Gelb, das unter der Einladung zum Jugendkonzert mit HipHop und traditionellem Tanz prangt. Es zeigt das geeinte Kurdistan, darin ein aufgeschlagenes Buch, das Symbol der Studierendengruppe YXK. Weil das Innenministerium es neuerdings der kurdischen Terror­organisation PKK zuordnet, darf es ab sofort nicht mehr im öffentlichen Raum gezeigt werden. Unlogisch, findet Yılmaz: „Die YXK selbst ist ja nicht verboten.“

An 15 deutschen Universitäten ist die Studierendengruppe vertreten, sie lädt zu Vorträgen, nutzt Uni-Räume für Veranstaltungen, wirbt in den Mensen um Mitglieder. Das alles dürfen sie auch künftig. Mit einer Einschränkung: Sie müssen auf Fahnen und Flyer mit dem farbigen Symbol verzichten. Die Universität Duisburg-Essen hat die Raumvergabe der dortigen YXK-Gruppe soeben an diese Bedingung geknüpft – zu ihrem eigenen Schutz, wie eine Pressesprecherin sagt. Denn wer sich mit dem Symbol erwischen lässt, riskiert eine Strafanzeige nach Paragraf 20, Vereinsgesetz: Zuwiderhandlung gegen Verbote.

Für die beiden Kurdinnen Demir und Yılmaz, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, heißt das: Wenn sie die Berliner Polizei mit einem Flyer erwischt, könnten sie zu einer Geldstrafe verurteilt werden. Ein Umstand, der Yılmaz aber nicht beeindruckt: „Wir werden weiter unsere Fahnen und Symbole zeigen.“ Kuschen und Flyer wegschmeißen kommt für sie nicht infrage. Aus diesem Grund stehen in dieser Geschichte nicht ihre echten Nachnamen. An welcher Uni sie studieren und wie sie genau aussehen, soll hier ebenso wenig stehen. Das war ihre Bedingung für das Treffen.

Die beiden Frauen haben guten Grund, vorsichtig zu sein. Mehrfach haben sie schon erlebt, wie ernst die Polizei die neuen Verbote nimmt, die seit dem 2. März gelten (siehe Kasten). Auf einer Solidaritätskundgebung für einen mutmaßlichen PKK-Aktivisten Ende März filmte die Berliner Polizei die DemonstrantInnen, beschlagnahmte die frisch verbotenen Flaggen der syrisch-kurdischen Kampfgruppen YPG und nahm die Personalien zweier Männer auf. In der Hannoveraner Innenstadt beschlagnahmte die Polizei die Flagge der örtlichen YXK-Gruppe. Nur in Frankfurt, wo Zehntausende KurdInnen das kurdische Neujahrsfest Newroz feierten, wurden so viele PKK-Fahnen und Porträts des Kurdenführers Abdullah Öcalan gesichtet, dass die Polizei davon absah, das Fahnenverbot umzusetzen. Die Situation hätte eskalieren können, lautete die Begründung.

PKK-Symbole: Am 2. März hat das Bundesinnenministerium ein Rundschreiben an die Länder geschickt, in dem sie insgesamt 33 PKK-Symbole und Ersatzsymbole auflistet. Einige sind wie die kurdische Arbeiterpartei selbst seit 1993 verboten. Neun stehen neu auf der Liste, darunter die Symbole der syrisch-kurdischen Kampfgruppen YPG/YPJ, der in Syrien aktiven Partei der Demokratischen Union (PYD) sowie des Verbands der Studierenden aus Kurdistan (YXK).

Was für viele nach vernünftiger Deeskalation klingt, löste in der Türkei wütende Proteste aus. Das Außenministerium verurteilte das „unaufrichtige Verhalten“. Präsident Erdoğan behauptet schon länger, Deutschland unterstütze PKK-Terroristen – anstatt sie zu verfolgen. Tatsächlich wird derzeit gegen 241 mutmaßliche PKK-Mitglieder ermittelt, seit 2004 gab es 2.500 strafrechtliche Verfahren „mit PKK-Bezug“, teilt das Innenministerium mit. Und es dürften mehr werden, sagt der Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune, der seit Jahren kurdische Mandanten vertritt. Derzeit berät er auch einen der Männer, den die Berliner Polizei mit einer YPG-Fahne erwischt hat. „Ich sehe für das Verbot keine Tatsachengrundlage“, sagt Theune. „YPG oder auch die Studierendengruppe YXK verfolgen vielleicht ähnliche Ziele wie die PKK, sind aber unabhängige Organisationen“.

Spricht man mit KurdInnen, hört man oft: Die türkische Regierung nehme Einfluss auf die deutsche Innenpolitik. Der Bundesverband der kurdischen Studierenden wirft der Bundesregierung eine „heuchlerische Politik“ vor: halbherzige Kritik bei Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, gleichzeitig kriminalisiere sie die diejenigen, die vor Erdoğan fliehen. Urteil: politische Abhängigkeit vom Erdoğan-Regime. Die Bundesregierung, ein Befehlsempfänger Ankaras?

Das Rundschreiben sei kein Zugeständnis an Erdoğan, heißt es aus dem Innenministerium. Dass das Timing missverstanden werden könne, sei aber allen im Haus bewusst. Man habe sogar erwogen, die Aktualisierung der unter das Verbot fallenden Kennzeichen deswegen erst zu einem anderen Zeitpunkt an die Landesbehörden zu schicken. Schlussendlich habe man aber dagegen entschieden. Ausschlaggebend war das bevorstehende kurdische Neujahrsfest. Den Strafverfolgungsbehörden sollten alle notwendigen Erkenntnisse der Bundessicherheitsbehörden vorliegen.

Yılmaz bezweifelt das. Sie glaubt, dass Erdoğans Arm längst bis in deutsche Hochschulen reiche. „Wenn sich türkische Studierende oder Politiker bei der Uni beschweren, wird unsere Veranstaltung abgesagt.“ Zum Beweis schickt sie eine mehrseitige Dokumentation zu der Veranstaltungsreihe „Ditib, die Marionetten Erdoğans?“, mit der die YXK vor ein paar Monaten an verschiedenen Unis zu Gast war. An dreien wurde sie abgesagt. An der Universität Koblenz-Landau wegen Sicherheitsbedenken. „Mindestens 500 Protestmails gingen bei uns ein“, erinnert sich Präsident Roman Heiligenthal am Telefon. Die Veranstaltung wurde dann abgesagt, weil es für ein Sicherheitskonzept mit der Polizei zu kurzfristig gewesen sei – nicht weil die Uni dem Druck nachgegeben hätte.

Der Bundesverband der kurdischen ­Studierenden wirft der Bundesregierung Heuchelei vor

Rückblickend störe ihn jedoch, dass der Moscheenverband Ditib so viel Einfluss nehmen konnte: „Die E-Mails kamen klar aus deren Ecke. Auch der Landesvorsitzende der Ditib Rheinland-Pfalz hat sich beschwert.“

An der Uni Duisburg-Essen intervenierte vorab das Konsulat – erfolglos. Und auch an der TU Berlin gab es vorab Umstimmungsversuche von türkischen BürgerInnen, bestätigt Sprecherin Stefanie Terp. Die Hochschulleitung entschied sich aber, die freie Meinungsbildung nicht einzuschränken. Der türkische AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroğlu warf der TU Berlin daraufhin via Twitter vor, dem „Ableger der Terrororganisation PKK“ ein „Propagandaforum“ zu bieten. Yılmaz, die an jenem Tag im Hörsaal saß, spricht von Einschüchterungsversuchen. „Die AKP macht in Deutschland dasselbe wie in der Türkei: Sie bezeichnet jede Kritik als Terrorismus. Das dürfen die Unis nicht dulden“. Die YXK wirbt seit mehreren Wochen für ein „Nein“ im türkischen Verfassungsreferendum am kommenden Wochenende. Im Berliner Eiszeit-Kino legen Demir und Yılmaz deshalb auch Hayır-Flyer aus.

Soeben sind die Kinobesucher in den Saal 1 geströmt. Es sind Kurdische Kulturtage, es läuft ein kurdischer Film, rund 100 Zuschauer sind gekommen. Während die beiden Studentinnen draußen ihre verbotenen Flyer herrichten, startet der Film – mit der Verhaftung eines kurdischen Lehrers in der Türkei.