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: Anthroposophie

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Heilkunst trifft Krankenkasse

Therapien Als Erweiterung zum schulmedizinischen Repertoire sind anthroposophische Therapien mittlerweile anerkannt. Mitunter übernehmen gesetzliche Krankenkassen die Kosten

von Anna Löhlein

Die Patientin hebt mit beiden Armen einen Stab über ihren Kopf, möglichst weit nach hinten oben, und lässt ihn dann hinter dem Rücken herabfallen. Blitzschnell fängt sie ihn weiter unten mit den Händen wieder auf. Der Wasserfall – eine von unzähligen Übungen der Heil­eurythmie. „Diese Übung wende ich für den Rücken an, er wird aufrecht und bewusst, außerdem ist es eine hinreißende Übung für zugreifende Geistesgegenwart. Sie wirkt also nicht nur körperlich, sondern auch seelisch-geistig“, erklärt Erika Leiste, Heileurythmistin und Dozentin für Schulheileurythmie mit Praxis in München.

Die Heileurythmie ist eine Therapieform der anthroposophischen Medizin, die Rudolf Steiner zusammen mit der Ärztin Ita Wegman vor rund 100 Jahren aus der Bewegungskunst Eurythmie entwickelte. Sie wird sowohl bei akuten als auch bei chronischen Erkrankungen sowie präventiv eingesetzt. „Heil­eurythmie wirkt auf die Wachstumskräfte; bei Erwachsenen auf die Gesundheitskräfte. Sie wirkt auf den ganzen Menschen, aber auch sehr speziell auf die einzelnen Organe“, berichtet Leiste. Zu den behandelbaren Krankheiten zählen Migräne, Augen- und Ohrenerkrankungen, Zahnfehlstellungen, Schilddrüsenfehlfunktion, Asthma, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Verdauungsstörungen und Haltungsschwäche, aber auch psychische Störungen wie Depression und Burnout. Bei Kindern werden zum Beispiel Hyperaktivität, Dyskalkulie und Legasthenie behandelt.

Zur Veranschaulichung der Wirkweise von Heileurythmie beschreibt Erika Leiste ein Bild: „Sie finden am Strand bisweilen von den Wellen glatt geschliffene Steine. Die Wellen entstehen durch den Wind, der Wind entsteht durch Wärmeverschiebungen in der Luft – ein Prozess, in dem immer ein feineres Element auf ein gröberes wirkt: Die Sonne erzeugt die Wärme, die Wärme bewegt die Luft, die Luft bewegt die Wellen, die Wellen bewegen die festen Steine. So ist es auch bei der Heileurythmie: Kraft Ihrer Willenswärme bewegen Sie Ihre Gliedmaßen und bringen Ihren Luftorganismus und Ihren Wasserorganismus in Bewegung, und der feste Leib wird verändert. An Zahnfehlstellungen lässt sich konkret mit dem Millimetermaß nachmessen, wie die Heileurythmie wirkt.“ Auch wissenschaftliche Studien belegen die Wirksamkeit anthroposophischer Therapien (siehe Infokasten).

Das Repertoire anthroposophischer Therapieverfahren umfasst neben der bewegungsorientierten Heileurythmie die anthroposophischen Kunsttherapien mit den Bereichen Sprache (therapeutische Sprachgestaltung), Musik (Musiktherapie) und Gestaltung (plastisch-therapeutisches Gestalten, Maltherapie) sowie den Komplex der Körpertherapien (Rhythmische Massage nach Ita Wegman und Öldispersionsbäder). Diese anthroposophischen Behandlungsverfahren gehören längst zum Standard in entsprechenden Krankenhäusern und Sanatorien sowie in Schulen und privaten Praxen – sie klingen in schulmedizinisch geprägten Ohren immer noch fremd.

Wer sich dennoch einer anthroposophischen Therapie öffnet, steht schnell vor der Frage der Finanzierung. Zwar fehlt es nicht an Angeboten qualifizierter Therapeuten und Ärzte, doch wie bei vielen Heilmethoden der Komplementärmedizin handelt es sich hierbei häufig um Privatleistungen, eine Einheit kostet etwa 45 Euro.

Noch immer relativ unbekannt ist die Tatsache, dass es sie eben doch auf Versichertenkarte geben kann – dann zum Beispiel, wenn Krankenkassen sich am Rahmenvertrag für Integrierte Versorgung mit anthroposophischer Medizin beteiligen, der vor einigen Jahren vom Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMiD) entwickelt wurde. „Voraussetzung ist, dass sich vier Parteien beteiligen: Die Krankenkasse muss dem entsprechenden Rahmenvertrag beigetreten sein, und sowohl Patient als auch Therapeut sowie der Arzt müssen ihre Teilnahme schriftlich bestätigt haben“, erklärt Barbara Wais, Geschäftsführerin von DAMiD.

Mit seiner Unterschrift erhält der Versicherte einen Leistungsumfang, der ärztliche Erst- und Folgebehandlungen sowie weitere Beratungen umfasst. Darüber hinaus können die genannten anthroposophischen Therapieverfahren ärztlich verordnet werden – die Patienten bekommen diese Leistungen dann ganz regulär über ihre Versichertenkarte. In diesem Fall bleibt für sie lediglich die gesetzlich vorgeschriebene Zuzahlung wie bei anderen Heilmitteln, also zehn Prozent der Behandlungskosten plus die obligatorischen zehn Euro Verordnungsgebühr.

Die Qualität der Therapien wird dadurch gesichert, dass alle teilnehmenden anthroposophischen Ärzte und Therapeuten eine Zulassung als Vertragsarzt haben und gesonderte Qualifikationsnachweise im Rahmen der anthroposophischen Medizin erbringen müssen beziehungsweise als nicht ärztliche Heilmittelerbringer in ihrer jeweiligen Therapierichtung speziell ausgebildet sind.

In den Genuss der Versorgung mit anthroposophischen Therapien kommen bisher nur Mitglieder der teilnehmenden Betriebskrankenkassen (BKK). Darüber hinaus gibt es aber einige Krankenkassen, die im Rahmen ihrer Satzungsleistungen die Heilmittel ganz oder teilweise erstatten. „Hier lohnt es sich, bei der Krankenkasse nachzufragen“, rät Wais. Ein kleiner Trost: Der Aufenthalt in anthroposophischen Kliniken, etwa den Gemeinschaftskrankenhäusern Herdecke in Herdecke, der Havelhöhe in Berlin und der Filderklinik in Filderstadt ist eine Regelleistung aller gesetzlichen Krankenkassen.

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