Kunst Annemie Twardawa ist Puppenspielerin. Mit dem Kasperle habe das wenig zu tun, sagt sie – eher mit Politik. Für eines ihrer Stücke studierte sie Kriegsstrategien in den USA. Und jetzt? Ein Besuch bei den Proben
: Die Puppe muss Kriegerin sein

Spielt politisch: Annemie Twardawa mit einer Puppe aus ihrem Stück „Army of Lovefuckers“ Foto: Wolfgang Borrs

Von Eva-Lena Lörzer

Sie greift in eine Kiste und holt einen Torso heraus, danach die Arme, Beine und Füße. Mit einem Tuch fährt sie über die Glieder, poliert die Teile ihrer Puppe, bis plötzlich Geräusche durch den Probenraum hallen, die klingen, als werde eine Waffe zusammengesteckt, klick-klack, klick-klack, dann Salven eines Gewehrs. Annemie Twardawa tut, als sei sie von hinten getroffen worden – und sackt in sich zusammen.

Twardawa ist Puppelspielerin, 34 Jahre, im weißen Neoprenanzug kniet sie auf einer Matte. Ihr gegenüber, in einem Zimmer der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch: die Regisseurin, der Dramaturg, Videokünstlerin, Klangkünstlerin, Bühnenbildnerin. Sie sitzen an langen Holztischen und verfolgen das Stück „Army of Lovefuckers“ der Puppen-Performance-Kompanie Lovefuckers, das hier gerade entsteht.

Als sie liegt, zieht sich Twardawa einen schwarzen Handschuh über. Ihre Finger rühren sich langsam, zucken und tasten, als entwickele die Hand ein Eigenleben. Stück für Stück baut die Hand nun die Puppe zusammen, die so weiß ist wie die Spielerin gekleidet, ihr schließlich gleicht wie ein Avatar. Eine mechanische Frauenstimme ertönt: „Ich muss überwinden, was mich menschlich macht“, sagt sie. „Nichts ist widerstandsfähiger als eine Puppe. Deshalb muss auch die Kriegerin Puppe sein, sie muss lernen, emo­tions­los auszuhalten, bevor sie im richtigen Moment gnadenlos zuschlägt.“

In Soldatenbars fragte sie nach: „Wie war das im Irak?“

„Team America“, „Strings“, Yoda in „Starwars“: Auf der Kinoleinwand haben es von Hand animierte Puppen längst zu Ruhm gebracht. Trotzdem sind die beiden berühmtesten Vertreter der Puppenspielkunst – Jim Henson, der Gründer der „Muppetshow“, und Frank Oz, der Spieler von Yoda in „Starwars“ – wenigen bekannt. „Wenn ich Menschen sage, dass ich Puppenspielerin bin“, sagt Annemie Twardawa, als sie kurz Pause hat und eine auf dem Parkplatz raucht, hinter ihr das Gebäude, neben sich einen Streifen Gras, „stellen sie sich darunter meist Kasperletheater vor, sind aber interessiert, mehr zu erfahren.“

So wie der Grenzbeamte in den USA, erzählt sie, der sie bei ihrer Recherchereise für das neue Stück zu ihren Aufenthaltsgründen befragte. „Erst hat er nur Fangfragen gestellt. Nachdem ich meinen Beruf angegeben habe, hat er mich so lange ausgefragt, dass sich eine Schlange gebildet hat.“

Drei Monate hat sie vor den Proben zu „Army of Love­fuckers“ amerikanische Kriegsstrategien recherchiert, sich in Soldatenbars und neben Veteranen gesetzt. „Wie war das in Vietnam?“, hat sie gefragt. „Und wie im Irak?“

„Unter Puppenspiel stellen sich viele Kasperletheater vor“

Annemie Twardawa, Puppenspielerin

Die Inszenierung wird die achte der Gruppe. Bereits ihre erste, „king of the kings“, 2011 war politisch – und persiflierte Libyens Diktator Gaddafi. Die Rahmenhandlung: Sauer, dass nie jemand ein Theaterstück über ihn macht, bringt der Herrscher, der sich als Künstler begreift, sein Leben selbst auf die Bühne und tourt damit um die Welt. Vier Spieler agierten als Leibwache und manipulierten den Diktator, der aus einer ein Meter großen Schaumstoffpuppe mit Klappmaul bestand.

In der letzten Probenwoche schwappte der Arabische Frühling auf Libyen über, zur Pre­mie­re kamen Vertreter der Arab Press und des russischen Staatsfernsehens.

Jetzt setzen die Lovefuckers zum letzten Probendurchgang für den Tag an: Die Klangkünslerin spielt dramatische Musik ein, und Annemie Twardawa steht eine Weile nur da, angespannt, konzentriert, bis sie ein zum Stück gehörendes Zirkeltraining beginnt: Sie läuft auf einer Matte, als stünde sie auf einem Laufband, erst langsam, dann schneller, macht zwei Minuten lang Liegestütze, tunkt ihren Kopf in einen Eimer Wasser, robbt triefend zurück zur Matte, springt auf und beginnt von Neuem.

Es ist eine gute Zeit für Puppenspieler, seit einigen Jahren feiert das Puppentheater in Deutschland ein Revival: Es gibt eine große freie Szene, und auch die staatlichen Schauspielhäuser übernehmen Elemente des Puppenspiels. Dennoch ist es dem aus dem Wandertheater kommenden, einst derben Volkstheater nicht gelungen, sich als eigenständige Form zu etablieren, seit es in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts als Kasperletheater Verbreitung fand.

„Die Kasperle-Assoziation macht es ihm schwer“, meint Twardawa. Das Kasperle, einst anarchistisch, hervorgegangen aus der Commedia dell’Arte und seit seiner Instrumentalisierung im Dritten Reich und in der DDR zur pädagogischen Figur geworden, wird noch heute zur frühkindlichen Verkehrserziehung genutzt. Auch Annemie Twardawa kannte Puppenspiel nur als Kasperletheater von Kindergeburtstagen, als sie, 21-jährig, zum ersten Mal einen Puppenspieler sah.

„Auf der Rambla in Barcelona stand ein Marionettenspieler. Wie er die Puppe zum Leben erweckt hat, hat mich so beeindruckt, dass ich dachte: In dieser Form Geschichten erzählen, das könnte es sein.“ Wenige Wochen später flog sie nach Buenos Aires und lernte bei einer Demons­tra­tion einen Maler kennen, der ihr erzählte, dass er Puppenspiel studiert habe.

In Zeiten versuchter Pressezensur in Ungarn, Polen, der Türkei und in Amerika sei es am Puppenspiel, wieder politisch zu werden, sagt sie

„Die Tradition steht dem Puppenspiel im Weg“

Sie schrieb sich an seiner ehemaligen Schule ein und lernte in den folgenden drei Jahren neben der Animation von Hand-, Stab-, Tischpuppen und Objekten auch Maskenspiel, Puppenbau, Schauspielgrundlagen und Gesang. Ihre Kommilitonen und sie gingen bald mit einfachen Handpuppen auf die Straße. „In Argentinien war es selbstverständlich“, sagt sie, „bereits während der Ausbildung Geld mit seinem Handwerk zu verdienen.“

Nach dem Diplom an der Berliner Schauspielschule Ernst Busch spielte sie in Puppenstücken und Opern, in Monte Carlo, in Dresden, und wechselte schließlich von der Festanstellung zurück in die Selbstständigkeit: „Im Figurentheater gibt es viel mehr auszuloten, als an staatlichen Bühnen möglich ist. Die Tradition steht dem, was ich im Puppenspiel sehe, eher im Weg“, sagt sie. Gerade jetzt, in Zeiten versuchter Pressezensur in Ungarn, in Polen, in der Türkei und in Amerika, sei es am Puppenspiel, wieder politisch zu werden und zu zeigen, was in der Form steckt.

Nassgeschwitzt steht Twardawa am Ende ihrer Performance da und atmet schwer. Dann wird die mechanisch klingende Frauenstimme wieder eingespielt: „Wir wollen nicht länger zusehen, wie Frauen Opfer von Gewalt werden. Deshalb haben wir eine Armee gegründet, die Army of Lovefuckers“, kommt es blechern vom Band. „Vielleicht werden wir nie die Früchte unseres Kampfs ernten, aber wir werden für die Freiheit und die Rechte unserer Schwestern und Kinder kämpfen. Love! Fuck! Fight!“