„Statt Bananen auszuteilen, geht es nun um individuelle Hilfe“

DAS WAR DIE WOCHE Die SPD weiß nicht, ob sie Rot-Rot-Grün auch im Bund empfehlen soll, die Fahrradkuriere von Essenslieferdiensten wollen sich gewerkschaftlich organisieren, die Staatsoper eröffnet „pünktlich“ und macht gleich wieder dicht – und die Flüchtlingshilfe droht vollends unsichtbar zu werden

Wieder mal Saleh versus Müller

R2G IM BUND

Die Hackordnung hat Saleh schon des Öfteren nicht ­interessiert

Der Senat spricht mit einer Stimme. Hört man immer wieder. Das mag in vielen Bereichen sogar stimmen. In anderen aber nicht, und einer davon ist die Frage von Rot-Rot-Grün auf Bundesebene. Da klaffen nicht nur die Haltungen in der Landesregierung auseinander, sondern schon in der größten der sie tragenden Parteien, der SPD.

Am Mittwoch stellte sich ihr Fraktionschef Raed Saleh in einem Tagespiegel-Interview hinter die Idee von R2G auf Bundesebene. Er sei für eine klare Linie, sagte er, „und ein echtes Reformprojekt wäre angesichts der Situation in Europa auch für Deutschland von Vorteil“. Das klang ziemlich nah an Linkspartei-Senatorin Elke Breitenbach, die ebenfalls am Mittwoch vor Wirtschaftsvertretern für R2G als „Option für einen echten Politikwechsel“ warb.

So nah er damit an Breitenbach war, so weit weg ist Saleh mit seiner Haltung vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller entfernt: Der hatte eine Woche zuvor bei seiner 100-Tage-Bilanz ausdrücklich keine Empfehlung für Rot-Rot-Grün auf Bundesebene abgeben wollen – und es zudem für zu früh gehalten, über eine mögliche Strahlkraft eines solchen Bündnisses zu urteilen.

Wie soll das also werden an den Ständen der SPD im Bundestagswahlkampf? Da kann die Partei im Vorfeld noch so oft sagen, man werbe für sich und führe keinen Lagerwahlkampf, gewählt würden Parteien und keine Koalitionen etc.: Wer an den Ständen stehen bleibt, wird – mit Recht – wissen wollen, mit wem die Sozialdemokraten denn im Falle des Falls zusammenarbeiten würden.

Rein von der Hackordnung her müsste Müllers Wort größeres Gewicht haben – der ist schließlich nicht nur Regierungschef, sondern auch der hiesige Landesvorsitzende der SPD. Doch die Hackordnung hat Saleh schon des Öfteren nicht interessiert. Der SPD-Parteitag am 20. Mai dürfte also eine spannende Sache werden, denn um eine Positionierung dürfte die Partei nicht herumkommen. Und so wird die Frage des „Ja“ oder „Nein“ zu R2G auf Bundesebene zugleich ein weiteres Kapitel im seit Jahren währenden Machtkampfs zwischen Müller und Saleh werden. Stefan Alberti

Strategie für Arbeitskampf gesucht

Deliveroo & Foodora

Das Bild von der glücklichen Fahrerin hat längst Risse bekommen

„Ich bestelle bei Foodora, die stellen ihre Leute wenigstens fest an“, hat eine Freundin neulich gesagt. Das stimmt – nur der Fahrrad-Essenslieferdienst Deliveroo beschäftigt auch selbstständige Fahrer*innen. Scheinselbstständige, möchte man hinzufügen. Doch zu miesen Arbeitsbedingungen wird bei beiden Unternehmen in die Pedale getreten. Langsam fangen die Kurier*innen an, sich zu organisieren. Das ist gut – und zwar nicht nur für sie selbst.

Auch öffentlich hat das schillernde Bild von der glücklichen Fahrerin, die ihre Zeit flexibel einteilen kann und den tollsten Job der Welt macht, längst Risse bekommen. Deliveroo und Foodora beschäftigen ihr Personal auf Abruf, mit Blick auf maximalen Profit bei minimalen Kosten – die Risiken tragen die Fahrer*innen. Ist das Rad kaputt oder das Handy geklaut, tragen sie die Kosten. Und wie viel sie arbeiten können, entscheidet am Ende das Unternehmen.

Die Voraussetzungen für einen Arbeitskampf sind denkbar schlecht. Viele machen den Job nur vorübergehend, neben dem Studium oder als Lückenfüller. Auch die Zahl derer, die kein deutsch sprechen, ist hoch.

Trotz dieser Schwierigkeiten ist es absolut notwendig, dass Gewerkschaften sich der Branche annehmen. Denn die „Uberisierung“ des Arbeitsmarktes ist in vollem Gange: Es entstehen immer mehr Unternehmen wie der Taxidienst Uber, die Reinigungkraft-Plattform Helpling oder eben Foodora, die ihr Geld mit der Vermittlung von Aufträgen verdienen. Sie etablieren eine ganz neue Form prekärer Beschäftigung.

Die Gewerkschaften haben dem bisher wenig entgegenzusetzen; klassische Gewerkschaftsarbeit hilft in dieser als „unorganisierbar“ geltenden Branche nur bedingt weiter: Es ist schwer, einen Stamm organisierter Mitarbeiter*innen aufzubauen, wenn ein Großteil von ihnen nur wenige Monate im Unternehmen bleibt. Von einem Betriebsrat ganz zu schweigen.

Wollen die Gewerkschaften nicht als unnütze Relikte enden, müssen sie neue Strategien für diese veränderten Bedingungen entwickeln. Der Kampf um die Arbeitsbedingungen von morgen beginnt heute. Dinah Riese

Weiter Vollgas im Risikomodus

STAATSOPER

Die Bauherren spielen wieder mit dem altbekannten Hin-und-Her-Trick

Es ist genau ein Jahr her, da beendete der „2. Untersuchungsausschuss Staatsoper“ seine Arbeit. Bekannt ist, dass der Vorsitzende Wolfgang Brauer (Linke) ein niederschmetterndes Resümee zog: Das Rote Rathaus sei bei der Sanierung „voll auf Risiko“ gegangen und baulich, zeitlich sowie finanziell „gescheitert“. Wir erinnern uns: Fehlplanungen, sieben Jahre Bauzeit, 400 statt 240 Millionen, Größenwahn Schmitz/Wowereit.

Dass man am Montag beim Baustellenrundgang durch die „fast fertige“ Staatsoper Unter den Linden das Gefühl nicht loswurde, es geht hier weiter mit vollem Risiko, hat damit was zu tun, dass es in einigen Ecken der Oper noch ziemlich nach Rohbau aussah. Zugleich spielten die Bauherren wieder mit dem altbekannten Hin-und-Her-Trick: Am Gedenktag 3. Oktober 2017 soll das Haus eröffnet werden, so die Bauverwaltung und Opernintendant Jürgen Flimm. Dann sei wieder Schluss wegen Nacharbeiten. Der richtige Spielbetrieb gehe im Dezember los. Und so weiter.

Wenn es bei Dezember bliebe, wäre das trotz allem eine gute Nachricht. Ein lebendiges Opernhaus ist besser als jedes Baudesaster. Zu befürchten ist jedoch, dass den Ankündigungen weitere Erklärungen folgen werden. Sind doch die Termine offenkundig weniger fachlich als vielmehr politisch gesetzt und persönlich gewünscht. Intendant Jürgen Flimm („Ich will jetzt da rein!“) und sein Musikdirektor Daniel Barenboim haben das ewige Verschieben satt. Kanzlerin Merkel, wenn Sie’s dann noch ist, will am symbolischen 3. Oktober Schumann hören und repräsentieren.

Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) und Baudirektorin Regula Lüscher war der Druck beim Baurundgang anzumerken. Sie gaben sich vorsichtig optimistisch. Man sprach von der „Zielgeraden“ und „dem guten Weg“, auf dem sich die Sanierung befinde. Aber vom Teufel, der im Detail steckt, war ebenso die Rede. Was angesichts der dröhnenden Baumaschinen gleich nebenan und der Geschichte des Skandals nur mehr einleuchtend klingt.

Lompscher und Lüscher ist ein erneuter Schaden nicht zu wünschen. Es wäre aber klüger gewesen, sich nicht weiter in den Risikomodus zu begeben. Denn es ist ihr Risiko.Rolf Lautenschläger

Es braucht politischen Druck

Moabit Hilft

Weiterhin übernehmen Initiativen wichtige staatliche Aufgaben

Die Krise kam nicht von heute auf morgen, aber sie wurde auf einen Schlag bekannt: Der Hilferuf, den die Initiative Moabit hilft am 6. August 2015 in den sozialen Medien verbreitete, weil die Situation der wartenden Flüchtlinge vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in der Turmstraße untragbar geworden war, fand ein hundertfaches Echo in der Stadt. In der Folge wurde nicht nur die Abkürzung Lageso zu einer Chiffre für Behördenversagen, sondern auch die Initiative Moabit hilft deutschlandweit bekannt.

In dieser Woche nun die Nachricht: Weil das im letzten Jahr gegründete Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) zum 1. Mai von der Turm- in die Darwinstraße umziehen wird, soll auch Moabit hilft seine Räume bis Montag räumen. Seit Oktober 2015 hatten die HelferInnen hier Spenden an Flüchtlinge verteilt und in einem Büro ihre Arbeit koordiniert.

Auch wenn das schlimmste Chaos verschwunden ist: Probleme mit der Versorgung von Flüchtlingen gibt es in Berlin nach wie vor, immer noch übernehmen ehrenamtliche FlüchtlingshelferInnen einen wichtigen Teil eigentlich staatlicher Aufgaben. Ihre Arbeit ist aber weniger sichtbar geworden: Statt Wasserflaschen und Bananen vor dem Lageso oder am Bahnhof Schönefeld auszuteilen, geht es nun um individuelle Hilfe bei der Wohnungssuche oder rechtlichen Beistand gegen die drohende Abschiebung. Verlöre Moabit hilft tatsächlich seine Räume an der Turmstraße, ginge damit ein weiteres Stück Sichtbarkeit der Willkommensinitiativen verloren.

Die immer geringer werdende Sichtbarkeit der FlüchtlingshelferInnen hat auch damit zu tun, dass es bisher nicht gelungen ist, aus diesen eine wirkliche Willkommensbewegung, eine politische Kraft entstehen zu lassen. Die massenhaften Asylablehnungsbescheide für Afghanen beispielsweise sind ein Problem, mit dem fast jede Initiative zu kämpfen hat – sichtbaren gemeinsamen politischen Protest gegen diese Politik gibt es bisher aber kaum.

Natürlich ist es schwierig, gleichzeitig Hilfe zu leisten und politischen Druck aufzubauen. Dennoch: Wenn sich die FlüchtlingshelferInnen nicht ihre Sichtbarkeit zurückerobern, werden sie still und heimlich aus der öffentlichen Aufmerksamkeit verschwinden. Der Verlust der Räume von Moabit hilft ist dafür nur ein erstes Zeichen. Malene Gürgen