Neue Heimat

Knast statt Traumjob, Nationalstolz für Linke, verfassungspatrio­tische Omas und die Grünen auf der Suche nach dem Sozialen

Was würde Deniz tun?

#freedeniz Seit Februar sitzt der Türkei-Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, in türkischer Haft. Auf dem taz.lab sprachen seine Freunde Doris Akrap und Daniel-Dylan Böhmer über seine Situation und darüber, warum die komischsten Ideen manchmal die besten sind

Gewusel: Vor dem taz-Haus in der Rudi-Dutschke-Straße essen und diskutieren taz.lab-BesucherInnen am letzten Samstag Foto: Tim Wagner/taz

von Verena Niepel

Bevor er für seinen Traumjob als Türkei-Korrespondent zur Welt wechselte, arbeitete Deniz Yücel bis 2015 in der taz-Redaktion. Sein Schreibtisch im fünften Stock war voll mit leeren Zigarettenpackungen. Zum Rauchen ging er oft mit seiner Kollegin Doris Akrap auf die taz-Dachterrasse mit Blick auf das Springer-Hochhaus und dessen charakteristische Leuchtreklame auf dem Dach. Beim Rauchen erzählte er dann immer von seinem Traumjob Nummer zwei: Dachzeilenschreiber.

Wer heute auf die leuch­tende Dachzeile blickt, der liest dort: #FreeDeniz. Dass er tatsächlich mal seinem Traumjob Nummer zwei so nahe kommmen würde, hätte er sich bestimmt nie erträumt. Beim taz.lab 2017 setzten sich Doris Akrap und Daniel-Dylan Böhmer, der stellvertretende Ressortleiter Außenpolitik bei der Welt, im taz Café zusammen und sprachen über ihren gemeinsamen Freund.

Seit Februar 2017 wird Deniz Yücel in der Türkei festgehalten. Erst war er zwei Wochen in Polizeigewahrsam, danach Isolationshaft – auf unbestimmte Zeit. „Beschwerden vor dem türkischen Verfassungsgericht wurden bereits eingelegt, doch dort wurde bislang kein einziger der 10.000 Fälle, die sich seit letztem Sommer häufen, bearbeitet“, erzählt Daniel-Dylan Böhmer.

Sie sind fest entschlossen weiterzumachen – für Deniz Foto: Paul Toetzke/taz

Die Betroffenheit, mit der die zwei Moderatoren über Yücel sprechen, spiegelt sich im Laufe der Veranstaltung zunehmend in der Anteilnahme der taz.lab-Gäste wieder. Die meisten folgen dem Gespräch mit ernsten Gesichtern, den Kopf aufmerksam in Schieflage gelegt. Nur wenn Doris Akrap Anekdoten über Yücels Begeisterung für Autokorsos und Backgammon erzählt, entspannen sich die Mundwinkel.

Es zeigt sich, Aufmerksamkeit und Emotionen erzeugen ist immer noch wichtig. Dass als direkte Reaktion auf die Festnahme irgendetwas getan werden musste, war klar. „Wir hatten lauter komische Ideen und dann haben wir uns irgendwann gefragt: Was würde Deniz tun? Irgendeiner von uns meinte dann aus Witz: Logisch, er wäre gerne Autokorso gefahren!“, erzählt Doris Akrap. Die „komische Idee“ wurde innerhalb von drei Stunden in die Tat umgesetzt.

Inzwischen fällt der Name des gefangenen Journalisten auch bei fast allen Angelegenheiten, die die außenpolitischen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland betreffen. „Wir haben uns gefragt, ob es nicht besser wäre, die Lautstärke jetzt runterzuregeln“, so Daniel-Dylan Böhmer, „aber dann kamen wir zu dem Schluss: Stille ist nicht gut.“

Solikonzert: Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit findet am kommenden Mittwoch, 3. Mai 2017, ab 17.30 Uhr ein großes Solikonzert vor dem Brandenburger Tor in Berlin statt. Der Eintritt ist frei.

Der Anlass: In der Türkei sitzen über 150 Journalist*innen wegen absurder Anschuldigungen im Knast, unter ihnen: Deniz Yücel. Weltweit sind mindestens 350 Journalist*innen in Gefängnissen weggesperrt. Zugleich werden auch in demokratischen Ländern Rufe wie „Lügenpresse“ lauter, und die Versuche nehmen stetig zu, die freie Presse zu delegitimieren, Stichwort: Donald Trump. Umso deutlicher wird: Pressefreiheit geht uns alle an.

Die Musiker: Bisher haben folgende Künstler*innen ihre Auftritte bei der Solishow zugesagt: Antilopen Gang, Jilet Ayse, Jasmin Tabatabai, Peter Licht, Sookee, Sultan Tunç, Kreidler, The Notwist, Die Sterne, Christiane Rösinger, Andreas Dorau, Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, Mikail Aslan, der taz-Chor.

Schließlich, so erkennt Doris Akrap, sei die Türkei kein Monster und etwa die Hälfte habe gegen das Referendum gestimmt; somit ist es wichtig, sich mit diesen Menschen solidarisch zu zeigen. Die Aufmerksamkeit für Yücel „nützt auch den Tausenden Menschen in der Türkei, die jetzt im Gefängnis sitzen“. Wie lange die Auseinandersetzung zwischen Teilen der Zivilgesellschaft und Erdoğan in der Türkei eigentlich schon andauern, wird auch am Buch „Taksim ist überall“ (Nautilus) deutlich, das Deniz Yücel 2014, ein Jahr nach dem Ende der Gezi-Proteste, herausbrachte und aus dem Daniel-Dylan Böhmer nun dem taz.lab-Publikum einige Zeilen vorlas.

Für eine Neuauflage des Buchs wollte Yücel eigentlich noch Korrekturen vornehmen, doch er kam nicht mehr dazu. Am 13. Februar 2017 nahm ihn die Polizei fest. Die Korrekturen haben seine Freunde für ihn besorgen müssen, darunter auch Doris Akrap und Daniel-Dylan Böhmer. Das Buch, es wurde zu einer Solidaritätsausgabe.