Verunsicherung Der Anschlag auf einen Mannschaftswagen der Polizei in Paris hat die Koordinaten des Wahlkampfs auf den letzten Metern verschoben. Nutzt das Le Pen?
: Wahlen unter Polizeischutz

Ist jetzt die Angst zurück? Polizisten nach dem Anschlag am Donnerstagabend auf den Champs-Élysées auf dem Dach ihres Wagens Foto: Christian Hartmann/reuters

Von David Carzon
und Rudolf Balmer

Es ist genau das, was Terrororganisationen wie der Islamische Staat erreichen wollen: Schrecken provozieren und die Politik dazu bringen, der Versuchung irrationaler Reaktionen nachzugeben. Es ist also in ihrem Interesse, wenn das Ende dieses Wahlkampfs vom Thema Terrorismus bestimmt wird. Das geschieht in Frankreich, weil der Konservative François Fillon und die Rechtspopulistin Marine Le Pen aus rein wahltaktischen Zwecken in diese Falle tappen.

Am Donnerstagabend waren die elf Präsidentschaftskandidaten gerade dabei, in 15-minütigen Gesprächen im Fernsehsender France 2 ihr Programm darzustellen, als auf den anderen Kanälen die Meldung von einer Schießerei auf der Avenue des Champs-Élysées wie eine in die Wahldebatte geworfene Bombe platzte. Der Sender entschied sich, seinen Plan umzuwerfen um die Kandidaten spontan auf die neuesten Nachrichten reagieren zu lassen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hätte sich anders verhalten können, sich auf die Spielregeln besinnen und die Aussagen der Politiker stärker einordnen können. Aber der Sender tat es nicht. So kam es, dass François Fillon, Kandidat der Konservativen, live verkündete, es habe noch weitere Polizeieinsätze in Paris gegeben. Er löste damit haltlose Spekulationen aus, die die Polizei eilig dementieren musste.

Derartige Eilübungen bringen niemals gute Ergebnisse. Der Front-National-Vizechef Florian Philippot hat diese Erfahrung kürzlich gemacht, als er das Attentat auf die Fußballer von Borussia Dortmund schnell dem islamistischen Terrorismus anlastete. Heute wissen wir, dass die Ereignisse höchstwahrscheinlich mit einer wahnsinnigen Börsenspekulation in Zusammenhang stehen.

Erst nach der Wahlsendung am Donnerstagabend wurde einigermaßen klar, was auf den Champs-Elysées geschehen war: Ein Mann hatte sein Auto neben einem Mannschaftswagen der Polizei angehalten und aus einem automatischen Gewehr auf die Beamten gefeuert. Einer von ihnen wurde getötet, zwei andere wurden verletzt; auch eine deutsche Touristin wurde getroffen. Später wurden im Wagen einen persönlichen Bekennerbrief, weitere Waffen und ein Ausweis entdeckt. Die Identität des erschossenen Angreifers konnten die Ermittler schnell bestätigen, es handelte sich um den Besitzer des Autos.

Der 39-jährige Karim C. war der Polizei mindestens seit 2001 bekannt wegen einer Vorstrafe für schwere Körperverletzung – aber auch seit Kurzem wegen des Verdachts einer islamistischen Radikalisierung. Im Fe­bruar war er sogar kurz festgenommen worden, weil vermutet wurde, dass er einen Anschlag plane. Mangels Beweisen wurde er damals freigelassen. Inzwischen hatte sich die Terrormiliz IS über ihre Propagandakanäle zu seinem Angriff bekannt. Eigenartigerweise nennt der IS aber als Ausführenden des Anschlags einen bisher Unbekannten, „Abu Yussef der Belgier“.

Der Konservative François Fillon spekulierte live im Fernsehen über weitere Schießereien in Paris

Noch am Donnerstagabend haben François Fillon, Emmanuel Macron und Marine Le Pen angekündigt, sie würden ihre Kampagnentermine am Freitag absagen. Der Wahlkampf endet ohnehin offiziell um Mitternacht. Benoît Hamon und Jean-Luc Mélenchon dagegen erklärten, gerade um zu zeigen, dass sich die Demokratie nicht einschüchtern lasse, würden sie bis zum Schluss weitermachen. Marine Le Pen organisierte am Freitag eine Pressekonferenz, um ihre Vorstellungen von einem Kampf gegen den Terrorismus darzustellen. Fillon wollte nicht passen und bat die Journalisten zum selben Thema in sein Hauptquartier.

Le Pen bezichtigte bei ihrem Auftritt die derzeitige Regierung als untätig. Sie zeigt damit, dass sie den Vorfall ungeniert in­strumentalisieren möchte. Für sie besteht ein Zusammenhang zwischen Terrorismus und Flüchtlingen in Europa. Sie fordert nationale Grenzkontrollen, einen völligen Einwanderungsstopp, die Ausweisung von ausländischen Verdächtigen und die Internierung der wegen islamistischer Radikalisierung ­bekannten Franzosen. Sie scheute sich nicht, sogar zu erklären, mit ihr als Präsidentin hätte es die Anschläge gegen Charlie Hebdo und das Bataclan nicht gegeben. Der Premierminister, Bernard ­Cazeneuve, warnte seinerseits seine Landsleute eindringlich vor einer solchen politischen Instrumentalisierung der terroristischen Bedrohung. Er beschwor die Bürger, die Einheit und Ruhe zu bewahren.

Nach dem Anschlag erstellte Umfragen gibt es nicht. Ab Samstag vor der Wahl ist die Veröffentlichung neuer Umfragen verboten. Für die Durchführung der Wahlen am Sonntag sind außerordentliche Maßnahmen ergriffen worden. 50.000 Angehörige der Polizei und der Gendarmerie sowie 7.000 Militärs sind im Einsatz, mehrere Wahllokale in Paris werden zudem von privaten Schutzleuten bewacht.

David Carzon ist stellvertretender Chefredakteur der Libération

Rudolf Balmer berichtet für die taz aus Paris