Wien hat nicht nur den Zentralfriedhof

Lokalkolorit Ernst Molden ist ein kantig-grantiger austriakischer Liedermacher, hierzulande noch zu entdecken. Da könnte sein neues Album „yeah“ helfen

Wien wirkt trotz seiner Größe und Bedeutung als österreichische Hauptstadt auf den Auswärtigen museal, fast schon dörflich. Die Zeit der Kaffeehäuser, der Weltliteratur und strahlenden Geltung ist lange vorbei. Aber vielleicht kommt gerade deshalb mit Ernst Molden einer der interessantesten gegenwärtigen Liedermacher aus Wien. Denn die Stärke seiner Songs erwächst gerade aus dem Vergangenen und dem Provinziellen.

In seiner Heimat ist Molden auch als Kolumnist und Schriftsteller bekannt. Der 49-Jährige blickt bereits auf über ein Dutzend Veröffentlichungen und österreichische Chartplatzierungen zurück. Obwohl sein Album „Ho Rugg“ 2014 auch den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhalten hat, tun sich die in Österreich gerne „Piefkes“ genannten Deutschen etwas schwer. Das mag mit seinem Lokalkolorit zu tun haben und mit seinen Mundarttexten.

Der Depri-Einschlag Wiens

Dabei hatte er es sogar auf seinen ersten Alben mit Hochdeutsch versucht. Aber schon bald merkte Molden, dass seine Musik ihre Aura im Lokalen besser entfaltet, weil ihm das Wienerische auch als Form zusagt. Angelehnt an der Tradition des Wienerlieds begibt sich Molden in seinen Stücken auf die Hinterhöfe, in die ehemals verrauchten Eckkneipen, besingt seinen Bezirk Favoriten und dessen Bewohner.

Seine Geschichten verpackt er in ein musikalisches Gewand, das Anleihen beim Blues, Gospel und Folk macht und doch auch immer mit einem besonderen Wiener Depri-Einschlag aufwartet. Jetzt legt er mit „yeah“ ein neues Album und zwölf neue Songs vor, die er zum dritten Mal mit den Musikerkollegen Willi Resetarits, Walther Soyka und Hannes Wirth eingespielt hat. Resetarits, früher als Ostbahn Kurti unterwegs, ergänzt mit seiner sonoren, rauchigen Stimme Molden kongenial. Soyka bringt mit seiner Knöpferlharmonika das Wienerische ein und Hannes Wirth an der zweiten Gitarre rundet die Songs ab.

Bereits das Auftaktstück „awerakadawera“ zeigt eine faszinierende Einheit von Rhythmus und Songtext. Das Beschwörende des Titels wird durch eine treibende Bluesmelodie eingefangen, die aber immer wieder durch einen melancholischen Einschub unterbrochen wird. Denn zu Moldens Stücken gehören neben der Lebendigkeit und Schönheit immer die Traurigkeit und die Melancholie. Sie möchten das Vergängliche einfangen, den Moment, die Menschen, die Orte. Aus diesem Grund haben sie oft etwas Verklärtes und aus der Zeit Gefallenes.

Doch vor allem sind die Songs Hommagen an sein Wien, sie fügen sich wie Mosaike zu einem eigenwilligen Bild von ihr zusammen. Das zeigt er hervorragend auf der verträumt, verwunschenen Hymne an den Wiener Sankt-Marx-Friedhof und dessen Fliederpracht. Der Hörer wandelt mit Molden in „st. marx“ durch die zugewachsenen Grabwege, schaut den Flanierenden zu und versucht ihre Gedanken nachzuvollziehen. Text und Musik bilden bei Molden eine so klare Einheit, dass man sich bei keinem Lied andere Worte vorzustellen vermag. Es passt einfach.

Stilistisch lässt er sich dabei nicht festnageln. Sein Stück „da grosse hea oba“, ein tänzelnd-wankendes Porträt eines von sich eingenommen Kellners erinnert an den schrägen Stil eines Tom Waits. Molden ist aber kein Epigone, das unterstreicht er eindrucksvoll auch auf diesem Album. Er schafft es tatsächlich mit seinem Amalgam aus Wiener Lokalkolorit und Blues- und Folkelementen, der verstaubten Liedermacherei ein Leben einzuhauchen, das Fans dieses Genres neue Hoffnungen macht.

Kevin Zdiara

Molden/Resetarits/Soyka/Wirth: „yeah“ (Monkey Music/Rough Trade)