Die andere Heimat der Künstler

musikdokumentation Der Bremer Filmemacher Tobias Klich stellt in „Heimat in sechs Richtungen“ Musik von acht iranischen Komponistinnen und Komponisten vor

Heimat vertont: Musik aus dem Iran ist nicht nur folklorisch, sondern kann auch fremd und chaotisch klingen Foto: Tobias Klich

von Wilfried Hippen

Eine Dokumentation über den Iran der ohne Kopftuch, Koranzitate und Vertriebene im Exil auskommt. In der Dokumentation „Heimat in sechs Richtungen“ geht es ausschließlich um Musik. Und auch die klingt überhaupt nicht so, wie man sich Kompositionen aus dem Iran eventuell vorstellt. Mit der Langhalslaute Tanbur kommt zwar ein traditionelles iranisches Instrument ins Spiel, aber darauf erklingen alles andere als folkloristische Melodien. Vielmehr wird die Tanbur mit anderen Instrumenten gepaart, wie mit dem Akkordeon.

Klischees vom Iran bedient der Bremer Filmemacher Tobias Klich in seiner Dokumentation „Heimat in sechs Richtungen“ nicht. Stattdessen vermittelt er ein ganz anderes Bild von nationaler Identität. Und damit folgt Klich auf einer tieferen Ebene einer alten iranischen Tradition. Denn der Titel bezieht sich auf ein Gedicht des Lyrikers und Mystikers Dschalaluddin Rumi aus dem 13. Jahrhundert. Darin heißt es, dass Heimat kein fester Ort, sondern ein offener Zustand sei und die Menschen im Grunde im Nirgends wohnen. Diese Verse sind nicht nur die Inspiration einer Komposition der jungen Komponistin Farzia Fallah, sondern ihre Botschaft durchtränkt den ganzen Film.

Die Dokumentation wurde im Rahmen und im Auftrag des DASTGAH-Festivals für zeitgenössische Kunst aus dem Iran gedreht, das 2016 in Hannover stattfand. Acht iranische Musikerinnen und Musiker wurden eingeladen, neue Stücke zu komponieren, die dann entweder vom internationalen Ensemble Laboratorium oder von einem Trio (Akkordeon, Tanbur und Elektronik) aufgeführt wurden.

Der Filmemacher Tobias Klich ist selber Musiker. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, die Schwellenängste des Publikums gegenüber Neuer Musik zu mildern, indem er möglichst intensive und interessante Bilder davon präsentiert. Nach drei Kurzfilmen über einzelne Kompositionen ist dies seine erste lange Dokumentation in diesem Stil, die über das rein Musikalische hinausgeht. Er erzählt auch davon, warum diese neue persische Musik nur außerhalb des Irans gefördert und aufgeführt wird.

Sein Film besteht auf den ersten Blick aus einer konventionellen Mischung von Interviews und den Aufnahmen der Musikstücke. Keine der Kompositionen wird in ihrer ganzen Länge präsentiert. Klich will offensichtlich mit diesen Klanghäppchen die Geduld und Aufnahmefähigkeit des Publikums nicht überfordern.

Die Musiker hat er jeweils mit zwei Kameras aufgenommen. Eine davon bleibt in der Totalen während die andere oft extreme Nahaufnahmen zeigt. Und da Klich als Musiker als Drehplan immer die Partitur lesen konnte, war seine Kamera immer da, wo musikalisch etwas Entscheidendes passierte. „Was man sehen kann, hört man besser!“ sagt er. Und tatsächlich wirkt diese für Außenstehende fremd und oft chaotisch klingende Musik gleich viel klarer und schöner, wenn man beobachten kann, mit welcher Konzentration und Hingabe sie interpretiert wird.

Die iranischen Musiker kommen aus verschiedenen Generationen und schildern ihre unterschiedlichen Erfahrungen. Die 1938 geborene Fozié Majd war im Persien der 60er-Jahre eine anerkannte und gut vernetzte Komponistin. Nach der islamischen Revolution war dann ihre Karriere beendet.

Tobias Klich folgt auf einer tieferen Ebene einer alten iranischen Tradition

Zehn Jahre lang hat sie überhaupt nicht mehr komponiert. Das Stück, welches sie für das Festival in Hannover schrieb, ist nach 40 Jahren wieder ihr erstes orchestrales Werk. Wenn sie nun im Film sagt, man solle „immer für die Ewigkeit schreiben“, hat dies eine tiefe Resonanz, auch wenn oder gerade weil sie sich nicht darüber beklagt, wie schwer ihr das Leben und die Kunst gemacht wurden. Klich zeigt sie bei der Uraufführung des Stücks in Nahaufnahme und Zeitlupe mit Tränen in den Augen. So manipulativ ist der Film zum Glück aber nur dieses eine Mal.

Der 1968 geborene Kiawasch Sahebnassagh erzählt davon, um wie viel einfacher sein Leben im Exil etwa in Deutschland wäre und dass seine Musik dunkler und komplizierter klingt, weil er trotz allem im Iran lebt und „immer über Auswege nachdenken muss“. Der 1978 geborene Ali Gorji ging dagegen ganz selbstverständlich nach Deutschland, um an der Hochschule für Künste in Bremen zu studieren und er erzählt, dass er einmal einen Auftritt kurzfristig abgesagt hat, weil er sich darüber ärgerte als „Exilant aus dem Iran“ vorgestellt zu werden.

Farzia Fallah, die ebenfalls in Bremen studiert hat, spricht davon, dass ihre Musik zwischen „iranisch und deutsch etwas drittes“ geworden ist und die deutsche Akkordeonistin Margit Kern, für die die Musiktradition ihres Instruments durch den Nationalsozialismus „verseucht“ wurde, erklärt, dass sie sich Musikern aus anderen Ländern zuwendet, „um eine Heimat für mein Instrument zu kreieren“.

Klich gelingt es, einen Eindruck davon zu vermitteln, wie kompliziert und widersprüchlich der Begriff von Heimat für Künstler sein kann, die sich dafür entschieden haben, zwischen verschiedenen Kulturen ihre eigenen Wege zu finden. Und dadurch wird ebenfalls der Zugang zu ihrer Musik einfacher, denn auch das was man versteht, hört man besser.

Premierenvorführung „Heimat in sechs Richtungen“: Künstlerhaus Lauenburg/Elbe, heute, 19.30 Uhr

Vorführung mit Livemusik von Farzia Fallah: Bremer Schauburg, 21. Mai 2017, 12 Uhr