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UrheberrechtKein Konsens bei der Neuordnung des Verhältnisses von Wissenschaft und Verlagen

Das Gesetz, das derzeit Wissenschaft und Verlagswelt in Rage bringt, hat einen Bandwurm-Namen: „Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz)“. In dieser Woche wurde der Gesetzentwurf des Bundesjustizministers von Experten in einer Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses kommentiert. Im Zentrum stand dabei die „Wissenschaftsschranke“, mit der die Nutzung von digitaler Wissenschaftsliteratur geregelt werden soll. Das Gesetz sieht vor, dass an Bildungseinrichtungen „bis zu 15 Prozent eines veröffentlichten Werkes vervielfältigt, verbreitet, öffentlich zugänglich gemacht und in sonstiger Weise öffentlich wiedergegeben werden“ dürfen. Umstritten ist, welche „angemessene Vergütung“ die Urheber, die Autoren und die Wissenschaftsverlage, dafür erhalten sollen.

Für den Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler, geht darum, unter den Bedingungen der rasanten Digitalisierung zu einer „grundsätzlichen Neuordnung des Verhältnisses von Wissenschaft und Verlagen“ zu kommen. „Ein modernes Hochschulstudium ist geprägt von der kurzfristigen und sicheren digitalen Verfügbarkeit von Texten auf Lernplattformen“, sagte Hippler. Demgegenüber wollten die Verlage an ihren „überkommenen analogen Geschäftsmodellen und den damit verbundenen Anforderungen festhalten“.

Rechtsanwalt Christian Sprang vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels illustrierte die Problematik für die Verlage am Beispiel eines Psychologie-Lehrbuchs, das an der Fernuni Hagen von den 4.500 Studierenden des Fachs in Teilen zur Prüfungsvorbereitung digital genutzt werden kann. Kein Student muss das von einem kleinen Wissenschaftsverlag produzierte Fachbuch mehr für 24,90 Euro im Buchhandel erwerben. Stattdessen zirkulierten unter den Seminarteilnehmern an die 650.000 Digitalseiten aus dem Lehrbuch, für die der Verlag „bei Anwendung der Vorschriften des UrhWissG-E keine Vergütung“ erhalte. Für die Autoren gebe es über die Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaft Wort „voraussichtlich nur einen niedrigen zweistelligen Eurobetrag“.

Auch die Verlegerin Barbara Budrich, die in Leverkusen einen Kleinverlag für Sozialwissenschaften betreibt, sah schwierige Zeiten anbrechen. Höhere Verkaufspreise könnten nur die großen Verlage durchsetzen, nicht die kleinen. Seit 2003 sei der Umsatz mit Lehr- und Studienbüchern um rund 27 Prozent pro Titel zurückgegangen. Bei den 30 sozialwissenschaftlichen Zeitschriften, die der Verlag herausbringt, sei absehbar, so Budrich, „dass wir diesen Bereich schließen müssen, wenn die Nutzung ganzer Zeitschriftenaufsätze unter der Wissenschaftsschranke für uns annähernd entschädigungsfrei erlaubt wird“.

Der Sprecher des Aktionsbündnisses „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“, Rainer Kuhlen, setzte sich gegen „unerträgliche falsche Behauptungen aus der Verlags- und Pressewirtschaft“ zur Wehr. Im Ausland geben es längst Beispiele, wie die Wissenschaftsschranke ohne zusätzliche Vergütung funktioniere. „In den USA z. B. fällt für Nutzungen entsprechend der allgemeinen ‚Fair-Use‘-Schranke und speziellen Schrankenbestimmungen wie dem ‚Teach Act‘ für Bibliotheken keine Vergütung an“, berichtete Kuhlen. Dafür haben sie schon vorab erhebliche Summen über Clearing-Stellen an die Verlage entrichtet. Kuhlen: „Das tun Bibliotheken in Deutschland mit circa 1 Milliarde Euro pro Jahr ebenso.“

Für den Leipziger Rechtsprofessor Christian Berger kommt die „gebotene Neuordnung der Wissenschaftsschranken“ derzeit zu früh. Er verweist auf den EU-Richtlinienvorschlag zum „Urheberrecht im Digitalen Binnenmark“. Dort gebe es auch eingehende Regelungen zum Text- und Data-Mining (TDM) und zur digital gestützten Lehre. Das würde dann die nächste Gesetzesanpassung notwendig machen. Manfred Ronzheimer