Die königlichen Königlichen

Fußball Kehren jetzt die fünfziger Jahre zurück? Real Madrid schafft es als erstes Team überhaupt, den Titel in der Champions League zu verteidigen. Damit ist eine neue Ära angebrochen

Welch falscher Glanz! König Sergio Ramos mit Gral Foto: reuters

„Balón de oro“, sangen die Fans, „Cristiano, balón de oro“. Man hat das durchaus schon mal gehört, diese Forderung nach dem Goldenen Ball des Weltfußballers für Cristiano Ronaldo. Neu war, dass Ronaldo selbst in den Gesang mit einstimmte. Womit bei der Siegesparty von Real Madrid am späten Sonntagabend im Estadio Santiago Bernabéu endgültig alle Dämme brachen.

Es gab viel zu feiern. Die erste Titelverteidigung der Champions League. Den dritten Triumph in den letzten vier Jahren. Reals ersten seit 1958, der in derselben Saison vom Gewinn der heimischen Liga begleitet wird. Den Trainer Zinédine Zidane mit seinen zwei Europapokalen in anderthalb Jahren Amtszeit. Und ja, natürlich Ronaldo, seit Jahren das Sinnbild dieses Klubs mit seiner Eigenliebe, seinem Hunger und seiner Klasse. Am Jahresende wird er erneut zum Weltfußballer gewählt. Er wird dann fünf solcher Auszeichnungen besitzen, wie sein ewiger Rivale Lionel Messi vom FC Barcelona. Selbst gegen diesen hinreißenden Fußballer hat er sich behauptet, so wie letztlich Real gegen das famose Barça des letzten Jahrzehnts.

Zu feiern gab es am Tag nach dem zwölften Sieg im wichtigsten Europacup durch ein 4:1 ­gegen Juventus Turin aber auch das Gefühl, „dass es gerade erst losgeht“, wie der hochbegabte Marco Asensio, 21, sagte. „Eine neue Ära hat begonnen“, sekundierte Ronaldo, der zwar schon 32 ist, sich aber trotzdem „wie ein kleiner Junge“ fühlt. Dass er sich erstmals in seiner Karriere auf Rotation einließ, dass er sich vom Weltfußballervorgänger Zidane auch zu mehr Teamgeist ermutigen ließ, dass er seine altersgerechtere Rolle als Mittelstürmer akzeptierte, dass diese im Zuge der Umstellung auf ein 4-4-2-System nach der Verletzung von Gareth Bale in den letzten Wochen potenziert wurde: all das hat zu einem historischen Torreigen beigetragen. Zehn Treffer eines Spielers ab dem Viertelfinale – so etwas wird es vielleicht nie wieder ­geben. Auch wenn Ronaldo nach eigener Auskunft noch bis 41 weiterspielen will.

Eine Ära also. Ob Barça, Bayern oder jetzt Madrid – eine große Elf erreicht ihren Zenit, wenn es über ein paar Jahre wenig Veränderungen gibt, wenn sie ins Gleichgewicht kommt aus alt und jung, arriviert und aufstrebend, aus Stars und Arbeitern, Transfers und Eigengewächsen. Reals Apotheose enthält auch eine Lehre für die in Madrid oft so ausgeprägte Sucht nach neuen Spielzeugen, denn sie ereignete sich just in einer Saison, vor der man so wenig Geld für Transfers ausgab wie noch nie.

Toni Kroos kam vor drei Jahren und ist damit der Stammspieler mit der kürzesten Aufenthaltsdauer. Was seine Bedeutung nicht schmälert. Durch Zidanes Faible für den begleitenden Zerstörer Casemiro dirigiert er noch freier als in seiner ersten Saison. In Cardiff leitete er das erste Tor mit einem fulminanten Antritt ein, dabei ist das nicht mal seine größte Stärke. Und als Zidane die Linien in der zweiten Halbzeit weiter nach vorn beorderte, erreichte er eine fast unheimliche Präsenz. Mit dem gleichfalls überragenden Luka Modric bildet Kroos das weltbeste Mittelfeld-Duo und hat mit 27 Jahren bereits zum dritten Mal die Champions League gewonnen. Als erster Deutscher.

Und so könnte man ewig weitermachen mit den Zahlen und Rekorden. Real werkelt an seiner größten Epoche im Zeitalter des Farbfernsehens, angeführt von seinem stillen Leader, dem sich sogar der mächtige Pérez unterordnet: „Zizou ist der Dirigent dieses Orchesters.“ Einer der größten Fußballer aller Zeiten hat die Puzzlestücke zusammengefügt, seine Autorität durchgesetzt, keinen Fehler zweimal gemacht und sich nicht die kleinste Eitelkeit erlaubt.

Seine Spielintelligenz demonstrierte Zidane auch im Siegesrausch, als er den Versuchen widerstand, ewige Triumphe zu versprechen. „Ihr wisst doch, wie der Fußball ist“, sagte er lapidar. „Nächstes Jahr wird alles viel schwerer.“ Florian Haupt