Vorbehalte bei Linksgrün und Realogrün

Quer durch die Bundestagsfraktion sind die grünen Abgeordneten bereit, mit Union und FDP zu sprechen. Aber die Aussichten auf eine Koalition werden gering eingeschätzt. „Weil wir sonst unseren Wählern nicht mehr in die Augen schauen können“

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER
UND SARAH MERSCH

Der Mann im Bioladen kommt gar nicht dazu, sich glückliche Eier oder Ökobrot einzupacken. Er geht in seinem Nadelstreifenanzug auf und ab, um zu telefonieren. Er muss jetzt allzeit bereit sein. In Berlin wird die Macht neu verteilt – und die Grünen werden dringend gebraucht.

„Wir haben mit der Union eigentlich alles besprochen“, sagt er, der einer der Machthändler der Grünenfraktion im Bundestag ist. Inhaltlich würde es wohl gehen, meint er. Trotzdem gebe es kaum eine Chance für ein schwarz-gelb-grünes Bündnis. Dafür geriert sich die FDP zu radikal – inhaltlich wie im Habitus.

Im Bundestag stehen sich derzeit zwei große Richtungen (bürgerlich-liberal versus links bzw. links-bürgerlich) und fünf Parteien einigermaßen ratlos gegenüber. Die FDP aber geht nach der Methode „Friss, grüner Vogel, oder opponiere“ vor. Mit der Union will die FDP Inhalte aufschreiben „und dann drucken“, wie FDP-Chef Guido Westerwelle dekretiert. Die Grünen sollen das Paket dann abnicken.

Diese Vorgehensweise irritiert die Grünen. Selbst jene in der Fraktion, die bereit sind, die Möglichkeiten einer schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition auszuloten. Das haben wir nicht nötig, heißt es auf den bündnisgrünen Fluren. Dafür stehe zu viel an Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Diese Haltung vertreten alle, seien es die 15 bis 17 ausgewiesenen Linken. Oder der eher realpolitisch orientierte Rest der 51-köpfigen Fraktion. „Es gibt Vorbehalte, ganz generell“, heißt es.

Aber es gibt auch ein klares Ja. „Die Wähler haben ein Anrecht darauf, dass die Parteien miteinander das Gespräch suchen“, sagt die Abgeordnete Anja Hajduk. „Man muss sich miteinander austauschen“, fordert auch Christine Scheel. Die angesehene Finanzpolitikerin nennt die Themen Arbeitsplätze, Wirtschaft und Ökologie. Andere setzen die Prioritäten anders. Da kommen Atomausstieg, Gentechnik und erneuerbare Energie zuerst – um Unterscheide deutlich zu machen.

Vielen Grünen bereitet der neoliberale Kurs der Union Probleme. „Unter Angela Merkel hat die CDU das Soziale entsorgt und eine antiquierte Gesellschaftspolitik propagiert“, sagt Kai Gehring, grüner Abgeordneter aus NRW. In Essen hat der Parlamentsneuling auf lokaler Ebene bereits Erfahrung mit Schwarz-Grün gemacht. „Ich wünsche mir auch perspektivisch die Möglichkeit zur Zusammenarbeit – wenn die CDU sich modernisiert.“

Wie der junge Gehring denkt auch die neue Abgeordnete Bärbel Höhn. „Man muss in der Zukunft darüber nachdenken, ob 3er-Bündnisse machbar sind“, sagt die erfahrene Machttaktikerin, die in Nordrhein-Westfalen lange Umweltministerin war. Dort sah sie die Chancen einer schwarz-grünen Zusammenarbeit: „Es gab da durchaus eine Schnittmenge mit der Union.“ Da aber ging es um konkrete Projekte, die Privatisierung des SPD-Staatsbetriebs WestLB etwa oder den Abbau von Kohlesubventionen. Im Bund stehen andere Themen an – bei denen es fundamentale Unterschiede gibt. Gerade auch kulturell. Der linksgrüne Alex Bonde etwa sieht wenig Sexappeal „in dieser alten, verfilzten, selbsternannten Staatspartei CDU“, er meint damit die CDU Baden-Württembergs, das eigentlich ein schwarz-grünes Testland werden soll.

Dass sie nicht auf ewig Juniorpartner der Sozialdemokraten bleiben können, wissen die Grünen. „Wir sind keine Gefangenen der SPD“, betont die neue Abgeordnete Priska Hinz, die auf Gemeinsamkeiten mit der Union setzt. „Sogar bei der Gentechnik und erneuerbaren Energien ginge das“, meint sie.

Bis dahin ist es aber noch weit. Gerade haben die Grünen Union und FDP hart attackiert, haben Kondome mit „Angie und Guido verhüten“ verteilt. Da kann man jetzt nicht bruchlos ein Wechselspiel treiben. Sonst sieht es so aus, „dass wir für Schwarz-Gelb das Treppchen zur Macht im Bund spielen“, sagt Bärbel Höhn. Und Anja Hajduk warnt davor, „dass wir dann unseren Wählern nicht mehr in die Augen gucken könnten“.