Backpfeifen für die Ausländerbehörde

Verwaltungs- und Oberverwaltungsrichter geben der Ausländerbehörde Nachhilfe in aktueller Gesetzeskunde. Die Innenbehörde hatte sich entschlossen, einen behinderten kurdischen Schüler abzuschieben, dessen Eltern einst als Libanesen nach Bremen kamen

Rechtsanwalt ist überzeugt: „Viele werden faktisch hier bleiben können.“

bremen taz ■ 19 Jahre ist er. Und nun hat ihm das Oberverwaltungsgericht im Eilverfahren den Schulabschluss ermöglicht. Nur damit wird der behinderte und lange leukämiekranke Emir Selcük* die Chance bekommen, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, befanden die Richter. Wegen „dringender persönlicher Gründe“ müsse Emir wieder eine Aufenthaltsbefugnis bekommen – statt der von der Ausländerbehörde verfügten Ausweisung. Die Behörde wollte Emir Selcük ohne Rücksicht auf Verluste dafür haftbar machen, dass seine Eltern sich bei der Einreise 1989 als staatenlose Kurden aus dem Libanon ausgaben, obwohl Vater und Großvater den türkischen Pass besitzen.

Ins Kriegsgebiet Libanon gab es damals keine Abschiebungen. Auch in die tatsächliche Heimat der Familie, die PKK-Kriegsgebiete Anatoliens, gab es die nicht. Deshalb meinen jetzt Fachleute, dass die zu der arabischsprachigen Minderheit gehörenden Kurden sich durch ihre falschen Angaben selbst um den Status als gruppenverfolgte Kurden aus der Türkei brachten.

Doch das liegt lange zurück. Nun geht es um die von Ausweisung und damit von Heimatlosigkeit bedrohten Nachkommen dieser Zuwanderer, die die Innenbehörde seit fünf Jahren als „Asylbetrüger“ und „Scheinlibanesen“ verfolgt. Mit ihnen auch die Kinder – die etwas anderes als Bremen kaum kennen. Emir war bei seiner Ankunft in Bremen drei Jahre alt.

100 jungen Menschen wie ihm droht die Ausweisung in den kommenden Jahren – und den Gerichten eine Flut von Klagen, wenn es keine andere Lösung gibt. Die wäre schon aus Gerechtigkeitsgründen sinnvoll – haben doch die älteren Geschwister der Einwandererkinder ein Bleiberecht bekommen. Sie fielen 1999 unter eine politische Altfalllösung mit Stichtag – für den die jüngeren zu spät geboren wurden. Auch Emir darf vorerst nur bis zum Schulabschluss 2006 bleiben.

Gegen diesen Abschluss hat das Ausländeramt sich mit aller Kraft eingesetzt – unter Missachtung sowohl der neuen Regeln im Aufenthaltsgesetz, als auch unter Missachtung aller Ermessensspielräume, die es für den jungen Mann schon im Vorfeld eines Prozesses gegeben hätte. Das hat schon das Verwaltungsgericht im Mai deutlich gemacht, doch die Ausländerbehörde zog bis in die letzte Instanz.

Das Oberverwaltungsgericht belehrte sie jetzt erneut, dass Emir eine Aufenthaltsbefugnis zusteht – und dass die Behörde es versäumt hat, ihr Ermessen „ordnungsgemäß“ auszuüben. Mindestens die für den Schüler positive Stellungnahme seiner Schule hätte sie berücksichtigen müssen. Ebenso seine Behandlungsbedürftigkeit wegen einer Spätfolge durch Medikamente. Dadurch sei Emir ein besonderer Härtefall, hatten schon die Verwaltungsrichter geurteilt. In der Türkei habe der 19-Jährige mit seinen lediglich deutschen und arabischen Sprachkenntnissen ohne Schulabschluss, krank dazu, keine Zukunft.

Zugleich sprechen die OVG-Richter Emir frei vom Vorwurf der Täuschung. Arglist könne man ihm schon gar nicht unterstellen, habe der junge Mann doch nie selbst falsche oder unvollständige Angaben gegenüber dem Stadtamt gemacht. Somit habe er auch „keinen Tatbestand“ verwirklicht, „der ein schutzwürdiges Vertrauen ausschlösse“. Klartext: Würde die Ausländerbehörde diese kurdischen Zuwanderer nicht verfolgen, hätte sie Emir nach eigenem Ermessen als Altfall einstufen können, wie es ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts schon 2002 für volljährig werdende Kinder ermöglichte. Zwar konnte Emir seinen Lebensunterhalt als Volljähriger nicht selbst verdienen. Doch seien ja die Umstände, die dazu führten, genau der Anlass für seine Anerkennung als Härtefall nach dem neuen Aufenthaltsgesetz.

Rechtsanwalt Albert Timmer begrüßt das Urteil. „Die Richter nutzen die gegebenen Ermessensspielräume zu Gunsten dieses jungen Menschen.“ Er sieht einen dringenden Handlungsbedarf, politisch „im Sinn von Integration umzusteuern und die gesellschaftspolitisch unsinnige Handhabung zu beenden.“ Hunderte Menschen hingen im Schwebezustand – und blockierten in der Ausländerbehörde zugleich qualifizierte Arbeitskraft. Timmer: „Dabei werden viele faktisch hier bleiben können.“

Eva Rhode

*Name geändert