Gegen Schmetterfrequenzen hilft nur Wein

GERÄUSCHE Der Kiezsalon im Prenzlauer Berg lud am Mittwoch zum Konzert der Schwedin Ellen Arkbro und des Japaners Aki Onda

In der Kulturbrauerei verstehen sich Kiez und Publikum bekanntlich gar nicht gut. Zu Wochenbeginn machte ein Brief ‚an die Anwohner‘ die Runde, in dem ein Nachbar des Veranstaltungszentrums beschreibt, wie man bei Ruhestörung und „grölenden Touristen“ bei der Polizei anzurufen hat.

Zwei Kieze und eine Exbrauerei weiter gibt es hingegen beinahe so etwas wie Subkultur. Auch die Musikbrauerei hat Anwohnerprobleme, grölende Touristen aber gehören nicht dazu. Das pittoreske Gelände liegt brach und sieht aus, wie man einst dachte, dass so der Prenzlauer Berg aussieht: Und wenn im Kiezsalon am Mittwochabend der Kiez sich abbildet, so tauchen überwiegend verspätete Gentrifizierungs-Pioniere und mittelalte Kulturtypen auf. Die Semiprominenz-Anwesenheits-Quote ist beachtlich; im kollektiven Facebook-Stream scheitert parallel ein Kran am Entschwindenlassen des Volksbühnen-Rads.

Die Veranstaltungsreihe Kiezsalon verbindet seit 2015 einmal im Monat ungehörte, disparate Musiken aus allen Ecken der Erde, dazu gibt es ausgesuchten Wein und schicke Möbel, es ist schließlich ein Salon. Gut, dass diesmal die Drones von Natalia Escobar an den Decks den abgedunkelten Industrialchic überlagern, sonst könnte das alles auch schnell kippen. Die beiden musikalischen Acts des Abends trennen meist Welten: Bei der letzten Ausgabe traf ein indisches Mandolinenduo auf eine irische Songwriterin. Diesmal wird das Prinzip leicht aufgebrochen, zu ähnlich sind die beiden Performer, Ellen Arkbro und Aki Onda, beide der Geräuschmusik verbunden, aber von unterschiedlichen Winkeln her gedacht.

Onda, ein japanischer Soundartist aus New York, wurde durch seine „Cassette Memories“ bekannt, Klangtagebücher, die er über Jahrzehnte mit seinem klassischen Walkman führte, field recordings. Als sich in der Musikbrauerei die Türen des Nebenraumes öffnen, der im Vergleich zum dunklen Barraum beinahe üppig wie ein Ballsaal wirkt, betritt das Publikum eine Szenerie, die mehr einer zeremoniellen Performance als einem Konzert ähnelt: Onda bespielt den Raum mit majestätisch schreitenden Schritten, eine klingende Kette hinter sich herziehend, schlägt Trommeln, bläst Flöten, tritt zielstrebig und langsam eine Dose durch den Raum, ritualistische Klangerzeugungen.Wenn er seine loopenden Kassettenrekorder im Raum verteilt, ist das zwar, insofern er mit Materialität und archiviertem Klang der Vergangenheit arbeitet, sicher hauntologisch, aber eigentlich mehr schon spiritistisch. Entsprechend befreiend lacht das Publikum bei jeder Bierflasche, die kippt. Ein intensiver, in Bann ziehender Auftritt.

Kurz darauf sitzt Ellen Arkbro im Hauptraum auf einer abgedunkelten Bühne am Laptop. In ihrem Auftritt setzt die junge schwedische Komponistin auf die schlichte Effizienz von Drones. Während ihr aktuelles Album „For Organ and Brass“ mit der mitteltönigen und reinen Stimmung der Renaissance arbeitet, sich damit in die Tradition La Monte Youngs und Christer Hennix’ stellt, basieren ihre Klänge live zwar auf Orgelsounds, aber sind dem Instrument völlig enthoben. Minimalistisch ist der Auftritt, aber Arkbros Soundkurven finden immer wieder Herzschmetterfrequenzen. Am Ende vibriert der Boden, der ganze Körper, das Publikum geschafft, aber glücklich. Und der Wein? Tatsächlich gar nicht so schlecht. Steffen Greiner