Großbritannien

Ein Lkw fährt in eine Menschenmenge, die vor einer Moschee in London, Finsbury Park, steht. 10 Menschen sind verletzt, einer ist tot

Terror in Zeiten von Brexit und Feuerkatastrophe

Politik Die konservative Premierministerin Theresa May und Londons Labour-Bürgermeister Sadiq Khan mahnen beide den Kampf gegen Extremismus an

BERLIN/LONDON taz | Wieder ein Terroranschlag in London, wieder Tote und Verletzte infolge eines absichtlich in eine Menschenmenge gefahrenen Autos, und wieder müssen Politiker aller Lager betonen, dass Extremismus zu bekämpfen ist.

Londons Bürgermeister Sadiq Khan verspricht erhöhte Sicherheitsvorkehrungen vor allem in dieser letzten Woche des islamischen Fastenmonats Ramadan. „Diese Gruppen wollen eine Spaltung unserer Gemeinschaft erzielen; wir können nicht zulassen, dass sie Erfolg haben“, sagt der Labour-Politiker, selbst Muslim. Labour-Bürgermeister Khan betont, es sei nicht zwischen rechtsextremen und islamistischen Anschlägen zu unterscheiden: „Terror ist Terror.“ Die konservative Premierministerin Theresa May wiederholt Khans Botschaft in ihrer Erklärung vor ihrem Amtssitz in 10 Downing Street, bevor sie selbst nach Finsbury Park fährt: Der Anschlag sei eine Mahnung, dass Extremismus viele Formen habe, mit einem gemeinsamen Ziel – Spaltung der Menschen und der Solidarität.

Nach dem Anschlag von London Bridge am 3. Juni, als radikale Islamisten Passanten mit Messern angriffen, waren Vorwürfe laut geworden, die Kürzungen bei der Polizei hätten eine effektive Überwachung der Täter erschwert. Der Angriff von Finsbury Park, allem Anschein nach von einem weißen Rechtsextremisten verübt, hat zu keinen derartigen Schuldzuweisungen geführt – noch nicht.

Bei rechtem Terror, wie bei dem Mord an der Labour-Abgeordneten Jo Cox fast genau vor einem Jahr, am 16. Juni 2016, steht die britische Politik vereint. Witwer Brendan Cox lobt jetzt Mays „hervorragende und kraftvolle“ Ansprache.

Die Regierungschefin und Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn besuchen sogar gleichzeitig die Finsbury-Moschee in unmittelbarer Nähe des neuen Tatorts. Aber sie erscheinen nicht gemeinsam, und sie werden unterschiedlich aufgenommen. May wird direkt ins Gebäude geführt. Corbyn lässt sich auf der Straße feiern, bevor er in die Moschee geht und dort auch länger bleibt. Beide sprechen mit Würdenträgern, die Religionen ebenso gemischt wie die Geschlechter. Corbyn nimmt auch am Mittagsgebet teil und spricht dann mit Männern und Frauen getrennt. Einige Gläubige sagen offen, dass sie lieber Corbyn als May gesehen haben.

In ihrer Ansprache vor ihrem Amtssitz knüpft May direkt an ihre letzte solche Ansprache nach dem Anschlag von London Bridge an. „Wie ich hier vor zwei Wochen sagte“, erklärt sie, „hat es über viele Jahre viel zu viel Toleranz gegenüber Extremismus in unserem Land gegeben – und das heißt Extremismus jeder Art, einschließlich Islamophobie.“ Sie kündigt eine überparteiliche Kommission gegen Extremismus an und wiederholt, dass extremistische Ideologie ihren „sicheren Raum“ im Internet verlieren soll.

Für May kommt das alles zu einer sehr schwierigen Zeit. Während sie in London spricht, ist ihr Brexit-Minister David Davis in Brüssel dabei, die Brexit-Verhandlungen mit der EU zu beginnen – ein historischer Augenblick, der jetzt kaum interessiert. Und derweil meldet die Londoner Polizei, dass die Zahl der Toten und Vermissten des Hochhausbrandes von Grenfell Tower auf 79 gestiegen ist.

Am Mittwoch soll die Queen im Parlament Mays Regierungserklärung vortragen, für die die Premierministerin noch immer keine Mehrheit sicher hat. Und nachdem Linke täglich auf Protestmärschen Mays Sturz fordern, verlangte in seiner Spätausgabe auch das konservative Kampfblatt Daily Mail Mays Rücktritt. Der Druck im Kessel wird stärker. Der Druck des Terrors auch. Dominic Johnson

Daniel Zylbersztajn