„Der Mythos Berlin wird noch eine ganze Weile überleben“

DIE SINGER-SONGWRITERIN Kat Frankie kam vor acht Jahren aus Sydney nach Deutschland und ist in der Musikszene längst kein Geheimtipp mehr. Die 34-Jährige hat ihr eigenes Label gegründet und gerade ihr drittes Album veröffentlicht, das sie auch selbst produziert hat und am Mittwoch in Neukölln vorstellt. Ein Gespräch über Ehrgeiz, Sehnsucht, Heiratsanträge – und über das Nichtstun in Berlin

■ Die Australierin: Kat Frankie, Jahrgang 1978, hat Design studiert. Einige Jahre arbeitete sie für einen Innenarchitekten und entwarf zum Beispiel Möbel für das Restaurant in der Oper von Sydney. Nebenbei machte sie Musik und trat in kleinen Clubs auf. Seit 2004 lebt sie in Berlin.

■ Die Ehrgeizige: Erst mit 18 Jahren hatte die Autodidaktin zum ersten Mal eine Gitarre in der Hand, seit drei Jahren spielt sie auch Klavier. Ihren Willen und Ehrgeiz, so Frankie, habe sie von ihrer Mutter geerbt: Diese stammt aus einfachen Verhältnissen, hat nach der Schule als Friseurin gearbeitet und wurde später Managerin einer der größten Banken Sydneys.

■ Die Alleingängerin: Frankie schreibt, produziert und vertreibt ihre Musik über ihr Label zellephan. Ihr drittes Album „Please Don’t Give Me What I Want“ ist im September erschienen. Gerade ist sie mit ihrer Band auf Tour, am 14. November tritt sie im Neuköllner Heimathafen auf. (kaf)

INTERVIEW KATHLEEN FIETZ
FOTOS DAVID OLIVEIRA

taz: Kat Frankie, Ihr neues Album heißt „Please Don’t Give Me What I Want.“ Vor welcher Sehnsucht müssen Sie beschützt werden?

Kat Frankie: Begierde an sich kann sehr ungesund sein. Wir tun so viel, um uns zu schonen und zu schützen – und andererseits machen wir Sachen, die total destruktiv sind.

Wie rauchen und zu viel Alkohol trinken?

Ja. Und wir essen ungesundes Zeug, verlieben uns in Menschen, die uns nicht gut tun und wollen Macht über andere haben. Eine zentrale buddhistische Weisheit besagt, dass die Begierde die Ursache des Leidens ist. Manche sagen, Geld sei die Ursache allen Übels – aber es ist vielmehr das Streben nach Geld. Wir haben diesen seltsamen Zug an uns, der uns blind vor Begierde machen kann. Und dann passen wir nicht mehr auf uns auf.

Wäre das Leben denn sonst nicht ziemlich langweilig?

Natürlich, es wäre todlangweilig! Außerdem hätte ich nichts mehr, worüber ich schreiben könnte.

Also: Begierde macht das Leben spannender, tut uns aber selten gut. Wie ist das mit dem Streben nach Erfolg?

Es gibt einen Unterscheid zwischen Gier und dem Ziel, erfolgreich zu sein. Ich hatte Freunde, deren Streben nach Erfolg sie aufgefressen hat. Das war furchtbar. Mein Ziel ist aber nicht unbedingt, Erfolg zu haben – sondern kreativ zu sein und meine Musik machen zu können.

Sie sind vor acht Jahren ohne festen Plan nach Berlin gekommen. Jetzt haben Sie drei Alben veröffentlicht und spielen vor großem Publikum. Davon können viele Künstler nur träumen.

Ich bin eigentlich hergekommen, um ein Jahr Auszeit von meinem Job als Designerin zu nehmen. Musik habe ich bis dahin nur nebenbei gemacht. Ich wollte hier ein paar Songs schreiben und wieder zurückgehen. Hier so eine offene Musikszene zu finden, war eine Offenbarung für mich. Die gibt es in Sydney nicht. Als ich wegging, haben ganz viele Clubs zugemacht und unter den Künstlern entstand Konkurrenz, weil es nicht mehr so viele Möglichkeiten für Auftritte gab. Die Auflagen für Clubs sind sehr streng in Australien, deshalb gibt es nur wenige kleine Cafés und Clubs. Also habe ich mich entschieden, zu bleiben und es als Musikerin zu versuchen.

Wovon haben Sie gelebt?

Ich hatte Geld gespart, habe aber auch versucht, mit der Musik Geld zu verdienen. Ich hatte ein Künstlervisum und die Ausländerbehörde wollte natürlich sehen, dass ich mit meiner Kunst Geld verdiene und es wert bin, hierbleiben zu dürfen. Das war auch deshalb nicht so einfach für mich, weil es in meinem Umfeld fast ein Tabu war, mit Musik Geld verdienen zu wollen. Musik soll um der Musik willen gemacht werden.

Eine künstlerische Karriere passt also nicht ins Bild?

Nein, die gilt als uncool. Da ist diese romantische Vorstellung vom armen Künstler, dessen Kunst aus dem Leiden heraus entsteht. Die wird nicht nur von denen aufrechterhalten, die Kunst konsumieren, sondern auch von den Künstlern selbst. Diese Haltung macht die Kunst angeblich authentischer, schützt aber auch das Selbstwertgefühl der Künstler, wenn sie nicht erfolgreich sind.

Sie haben sich trotzdem für den uncoolen Weg entschieden …

Ja. Ich habe die erste Zeit in Berlin jede Woche in kleinen Cafés oder Kellern gespielt, für freie Drinks oder ein paar Euro im Hut. Irgendwann habe ich gedacht: Ich will raus aus dem Keller. Also habe ich versucht, größere Auftritte zu organisieren, zusammen mit einer Freundin, der Musikerin Kitty Solaris.

Wo war der erste größere Abend?

Im Bang Bang Club, da passen 250 Leuten rein. Klar hatte ich am Anfang Angst. Ich war noch relativ neu in der Stadt und hatte keine Ahnung, wie man einen Club oder einen Promoter auftut. Aber es hat funktioniert. Ab da habe ich weniger, aber dafür auf immer größeren Bühnen gespielt.

Der Regisseur Uli M. Schueppel hat 2006 über Sie und fünf andere MusikerInnen den Dokumentarfilm „BerlinSong“ gedreht, der 2007 auf der Berlinale lief. Für den Film haben Sie ein Lied über Berlin geschrieben, das „The Faint-Hearted Ones“ heißt. Wer sind diese Zaghaften, über die Sie da singen?

Als Uli den Film mit uns drehte, war ich erst zwei Jahre hier und wurde gerade etwas desillusioniert. So viele wirklich talentierte Künstler kommen in die Stadt, versinken aber nach einer Weile in diesem Lifestyle, bekifft zu Hause oder ketterauchend in Cafés abzuhängen und über das nächste Projekt zu reden …

das sie dann nicht umsetzen?

Genau. Berlin ist die Stadt der Projekte. Wenn du hier nichts machst, machst du ein Projekt. Oh Gott, ich rede mich gerade um Kopf und Kragen. Was ich sagen will: Man kann hier billig leben – aber gerade deshalb braucht man einen starken Willen, um nicht der Verführung zu erliegen, abzuhängen und zu vergessen, wofür man eigentlich hergekommen ist. Dabei ist Berlin die Stadt, wenn man kreative Ideen hat: Es gibt günstige Räume und Menschen, die dir umsonst helfen. In keiner anderen Stadt der Welt ist das so möglich.

Berlin verändert sich. Sie wohnen in Prenzlauer Berg, Ihr Studio ist in Kreuzberg. Gerade dort sind die Mieten zum Teil extrem gestiegen. Ist Berlin überhaupt noch der günstige, kreative Schmelztiegel?

Definitiv. So lange, bis Leipzig übernimmt.

Oder Krakau?

Das vielleicht später, aber zuerst Leipzig. Die Kreativen beginnen, dorthin zu gehen. Leipzig hat eine große Kunstszene, es gibt noch besetzte Häuser, es ist billiger als Berlin. Außerdem ist das alles auch eine Frage der Perspektive: Verglichen zu fast allen großen kreativen Metropolen ist Berlin immer noch die günstigste, coolste und trashigste. Das macht die Schönheit der Stadt nach wie vor aus. Der Mythos Berlin wird noch eine ganze Weile überleben.

Apropos Mythos: Stimmt es, dass Sie nach Ihren Konzerten Heiratsanträge von weiblichen und männlichen Fans bekommen?

Ach, das hat eine Journalistin geschrieben. Ich glaube, das war romantisch gemeint. Ich habe ehrlich gesagt noch nie einen Heiratsantrag bekommen.

Gehen Sie denn selbst häufig auf Konzerte?

Ja. Ich bin nicht der Typ, der rumsitzen und nichts tun kann. In letzter Zeit bin ich am liebsten im Festsaal Kreuzberg.

Mögen Sie deutsche Bands?

Ich mag deutsche Musik. Künstler wie Niels Frevert oder Francesco Wilking schreiben wirklich gute deutsche Texte, das bewundere ich sehr. Deutsche Songs handeln meistens von den alltäglichen Dramen: Davon, dass wir älter und die Kinder größer werden und dass es draußen die ganze Zeit regnet. Ich finde allerdings, die deutsche Musik könnte ein bisschen mehr Theatralik und Fantasy vertragen.

Handelt Ihr erstes deutsches Lied deshalb von einem verhexten Haus?

Ja. Ich dachte, wenn ich auf Deutsch singe, will ich etwas Neues versuchen. Mit den deutschen Texteschreibern kann ich als Outsiderin ja sowieso nicht mithalten. Als ich das Lied geschrieben habe, habe ich gerade Sherlock Holmes, „Der Hund von Baskerville“, gelesen und dachte an verwunschene Moore, an eine Familie, die in einem verfluchten Haus wohnt und an Kate Bushs „Wuthering Heights“.

Auch Ihre Art zu singen macht diesen Song ziemlich unheimlich.

Das war Absicht. Ein Freund hat das Lied gehört und gesagt, ich klinge wie Gandalf aus „Herr der Ringe“, auch weil ich so altmodische Redewendungen wie „Hüte deine Zunge“ benutze. Genau das wollte ich. Außerdem dachte ich: Du bist jetzt acht Jahre hier, dein Deutsch ist gut genug, um auch mal auf Deutsch zu singen.

Das ist nicht selbstverständlich: In Berlin sprechen fast alle Englisch, gerade in der kreativen Szene.

Ja, das stimmt. Aber ich verbringe viel Zeit mit Deutschen. Vor einem Jahr stand ich auf einer Party und merkte plötzlich, dass ich die Einzige war, deren Muttersprache nicht Deutsch war. Das war ein tolles Gefühl.

Sie wissen offenbar ziemlich genau, was Sie können und wollen. Zweifeln Sie auch mal?

Vor Jahren war ich mit meiner Musik noch nicht so selbstbewusst. Aber mit jedem Song lerne ich dazu. Heute kümmere ich mich nicht mehr darum, was beim Musikmachen so üblich ist, was erlaubt ist und was nicht. Wenn ich denke, das klingt toll, dann mache ich das so.

„Berlin ist die Stadt der Projekte. Wenn du hier nichts machst, machst du ein Projekt“

Das merkt man auch Ihrem neuen Album an: Ihre Stimme steht im Vordergrund, manchmal verzichten Sie ganz auf Instrumente und loopen nur die Stimme.

Das mit dem Loopen ist durch Zufall entstanden. Mein Bassist brachte eine alte Loop-Station mit, die ich sofort ausprobiert habe. Das hat mich an meine Kindheit erinnert: Als Kind konnte ich zwar kein Instrument spielen, aber ich habe ständig gesungen und meine Eltern und die Nachbarn damit in den Wahnsinn getrieben. Irgendwann habe ich eine Kassette in den Rekorder gelegt und meinen Gesang aufgenommen. Dann hab ich das Ganze in der Stereoanlage meiner Eltern abgespielt, dazu gebeatboxt und das dann wieder mit dem Rekorder aufgenommen. Das habe ich ewig so weitergemacht und die Gesangslinien immer wieder übereinandergelegt.

Dann kehren Sie mit gerade mal 34 Jahren zu Ihren Wurzeln zurück?

Ja, das ist ziemlich lustig. Ich habe lange Folk und Rock gemacht – und jetzt mache ich wieder so Musik, wie ich sie gemacht habe, als ich klein war. Nur habe ich jetzt die bessere Technik.

Wie arbeiten Sie heute?

Meist allein und zu Hause. Dort stehen auch mein Klavier und meine Gitarren. Wenn ich weiß, welche Instrumente ich in den Songs haben möchte, bitte ich befreundete Musiker, mit mir im Studio zu arbeiten. Es gibt wirklich viele talentierte Musiker in meinem Freundeskreis. Für die Tour stelle ich mir dann eine Band zusammen. Jetzt gehen zum Beispiel noch drei Sängerinnen mit auf Tour. Der Gesang ist ja oft vielstimmig, und das mit der Loop-Station kann ich live nicht so umsetzen wie auf dem Album.

Sie haben ein eigenes Label und produzieren selbst. Fehlt da nicht jemand, der von außen noch mal kritisch draufguckt?

Den kritischen Blick auf meine Musik haben meine Freunde. Es gibt Musiker, die schreiben einen Song, wissen aber noch nicht genau, wie er klingen soll. Deshalb holen sie sich einen Produzenten dazu. Ich weiß aber schon genau, wie es klingen soll, und wenn ich jemanden von außen holen würde, würden wir die ganze Zeit streiten. Allerdings muss ich auch sagen: Ich habe angefangen, selbst zu produzieren, weil ich gar nicht selbstbewusst genug war, mir Leute dazuzuholen. Das ändert sich langsam. Je selbstbewusster ich mit meiner Musik werde, desto besser kann ich mit anderen zusammenarbeiten und mit Kritik umgehen.

Trotzdem haben Sie sogar Ihr eigenes Label.

Das liegt eher an der Plattenindustrie. Für das dritte Album hatte ich zwei Angebote von Firmen. Ich habe mich auch mit denen getroffen, aber so ein Vertrag macht für mich keinen Sinn. Die müssen ihre Angestellten bezahlen, ihre Kosten reinkriegen – und die Künstler sind die Letzten, die Geld sehen. Das ist am Ende so wenig, dass Musiker mit anderen Jobs ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. So ein System unterstütze ich nicht.

Für die Musik haben Sie Ihren Job als Designerin aufgegeben. Früher haben Sie Möbel entworfen. Hat das Entwerfen etwas mit dem Songschreiben gemeinsam?

Es ist genau dasselbe. Wenn ich ein Möbelstück entwerfe, ist das der gleiche Arbeitsprozess wie wenn ich ein Lied schreibe. Nehmen wir einen Stuhl: Er hat eine Struktur, er muss mindestens drei Beine haben und braucht eine Sitzfläche. Ein Song braucht genauso eine Struktur aus Versen und einem Refrain. Und bei beiden hat man eine Idee im Kopf und benutzt die Struktur, um diese Idee auszudrücken. Man kann auf einem Stuhl sitzen – aber gleichzeitig erzählt er eine Geschichte wie ein Song: über Körpermaße, über die Erdanziehungskraft oder sogar über menschliche Beziehungen.

Vermissen Sie Ihren alten Beruf manchmal?

Ja, sehr. Je länger ich raus bin, umso mehr vermisse ich meine Arbeit als Designerin. Aber ich kann nicht beides machen. Der Architekt, für den ich damals gearbeitet habe, hat zu mir gesagt: Kat, du musst dich entscheiden. Wenn du deine Kreativität aufteilst, wirst du weder als Musikerin noch als Designerin jemals wirklich gut sein. Ich habe mich dafür entschieden, Musik zu machen, weil ich jung war. Sachen entwerfen kann ich später auch noch. Dann werde ich eine von diesen alten Designerinnen mit langen grauen Haaren, die immer nur in Schwarz rumlaufen.