„Manche haben eine neue Stimme gefunden“

MUSIKKuratorin Mimi Sheffer über ihr Festival „New Life – Musik jüdischer geflüchteter Komponisten“ in der Villa Elisabeth

„New Life – Musik jüdischer geflüchteter Komponisten“ widmet sich aus Anlass des 120. Geburtstags des Komponisten Paul Ben-Haim (geb. als Paul Frankenburger) der Musik aus Nazi-Deutschland geflohener jüdischer Komponisten. Festivalleiterin ist die Sopranistin Mimi Sheffer (Foto). Vom 14. bis zum 16. Juli sind in der Villa Elisabeth Orchesterkonzerte, Kammerkonzerten, kostenfreie Teaserkonzerte, Künstlergespräche, Präsenta­tionen und Konzerteinführungen zu hören, etwa mit den Berliner Symphonikern unter der Leitung von Lior Shambadal. Informationen: www.new-life-festival.com jup

taz: Frau Sheffer, Ihr Festival widmet sich der Musik jüdischer Komponisten, die während des Nationalsozialismus aus Deutschland geflohen sind. Wie entstand diese Idee?

Mimi Sheffer, Kuratorin und Sängerin:Ich bin seit Jahren an dem Thema dran, habe viel dazu geforscht, aufgenommen und aufgeführt. Ende 2014 haben wir den Verein „Kol – jüdische Musik beleben und erleben e. V.“ gegründet und eine kleine Kon­zert­reihe jüdischer Musik in Berlin und Brandenburg veranstaltet. Da war schnell klar, dass es das Bedürfnis danach und das Publikum für jüdische Musik gibt.

Dieses Festival zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht „jüdische Musik“ im Blick hat, sondern Musik jüdischer Komponistinnen und Komponisten, die geflohen sind.

Ja, wir bezeichnen die Musik absichtlich nicht als „jüdische Musik“, sondern als Musik jüdischer Komponistinnen und Komponisten. Das Jüdische kommt manchmal in der Thematik vor, aber die Musik an sich unterscheidet sich dadurch nicht von anderer. Komponisten wie Kurt Weill, Paul Ben-Haim, Josef Tal – alle drei stellen wir vor – waren zum Beispiel sehr verwurzelt in ihrer Umgebung, ob das jetzt Deutschland, Ungarn oder Rumänien war. In ihren neuen Ländern haben sie dann sehr individuell auf ihre Erfahrungen von Flucht und Migration reagiert, manche haben eine neue Stimme gefunden, andere haben weitergeschrieben wie bisher. Mit unserem Festival wollen wir auch einen Kreis schließen und die Musik, die an anderen Orten nach der Flucht geschrieben wurde, hier in Deutschland aufführen.

In Ihrem Programm gibt es Stücke, die seit den 30er Jahren nicht mehr in Deutschland aufgeführt wurden.

Ja, wir möchten diese Musik damit natürlich auch bekannt machen. Die Kunstlieder von Paul Ben-Haim beispielsweise waren gleich zweimal verloren: zum einen waren sie aus Deutschland verbannt, zum anderen wollte er lange Zeit mit der Musik, die er in Deutschland geschrieben hatte, nichts mehr zu tun haben – besonders mit den Kunstliedern, die unter anderem auf Texten von Hugo von Hofmannsthal oder Theodor Storm basieren. Mit zunehmendem Alter hat Ben-Haim aber wieder akzeptiert, dass diese Stücke gesungen werden.

Haben Schoah und Emigration zu einem hörbaren Bruch auch in der Musik der Komponistinnen geführt?

Bei Ben-Haim zum Beispiel hört man ihn ganz deutlich. Und man kann ihn auch in unserem Konzert „Von Pan zu Peter Pan“ hören. Sein „Sinfonisches Gedicht“, das er in den 30er Jahren in Deutschland – kurz vor seiner Flucht nach Palästina – schrieb, klingt nach Mahler und Strauss.

Und was verändert sich nach seiner Emigration?

Das hört man dann im ­zweiten Teil des Konzerts mit seinem Klavierkonzert, das er in seiner neuen Heimat Palästina beziehungsweise Israel geschrieben hat, und zwar in einem völlig neuen Stil, dem sogenannten mediterranen Stil. Entstanden ist dieser im Kontakt mit der israelischen Sängerin Bracha ­Tzfira, die jemenitische und persische Wurzeln hat. Durch die Beschäftigung mit ihren Liedern hat er neue Motive und neue rhythmische ­Zusammenhänge kennengelernt und sie in die euro­päische Musik integriert.

Es werden auch Stücke von Max Brod zur Aufführung kommen. Den dürften die meisten als Kafka-Herausgeber kennen und weniger als Komponisten.

Ja, das stimmt, aber so war es, er hat auch komponiert. Seine Rhapsodie „Das Mittelmeer“ wird in dem Konzert „Exil oder neue Heimat?“ gespielt, das sich Komponistinnen und Komponisten widmet, die von Deutschland nach Israel geflohen sind: In deren Briefe und Schriften betten wir die Klaviermusik ein. Überhaupt ist das Festival sehr vielfältig angelegt, es gibt ­Kammerkonzerte, Orchesterkonzerte, Präsentationen, Künstlergespräche, Konzerteinleitungen – und wir hoffen, dass das Publikum ein Wochenende lang in der Musik versinkt.

Judith Poppe