Berliner Szenen
: Umzugshilfe

Bücher von früher

In den letzten Jahren war es stetig bergab gegangen

Alles hatte eigentlich perfekt geklappt. In der Woche war die Wohnung fertiggeworden. Am Sonntag hatten wir M.s Sachen gebracht. Eine Einzimmerwohnung im ersten Stock, schöne Aussicht vom Balkon.

Ich hatte mich gefreut, endlich mal eins der Hochhäuser in der Gitschiner Straße von innen zu sehen, und erinnerte mich an seine Hochhauswohnung in der Straße der Pariser Kommune, an diesen Nachmittag Ende der Neunziger, als wir Fotos gemacht hatten. Y., die Jugendliche, die inzwischen Filmemacherin ist, war auch dabei gewesen, und H., die selbst gar nicht rauchte, hatte ebenfalls mit Joint posiert.

Später wohnte M. dann lange neben mir. Er hatte ununterbrochen gekifft, Zeitung gelesen und über die Grünen geschimpft. Und dann war er weggezogen, hatte wieder zu trinken angefangen und das Rauchen eingestellt, und in den letzten Jahren war es stetig bergab gegangen. Diabetes, Neuropathie, kaputte Füße, mehrmals Krankenhaus. Einmal kurz Koma. Eine Woche Spezialklinik, verschiedene OPs, Pflegeheim.

Und nun endlich wieder eine eigene Wohnung mit Pflegeanschluss und Mahlzeiten im siebten Stock. Während A. und C. Sachen ordneten, brachte ich den Toilettensitz und zwei Glühbirnen an und räumte zwei Tage später, unter Aufsicht, seine Bücher ein. Zwei große Regale. Vor allem Geschichte, Politik, Krieg und solche Sachen. Viele stammten noch aus der Zeit seines Studiums. In die meisten hatte er in den letzten Jahren nicht mehr geschaut. Ich hatte mich gewundert, dass er keine Bücher aussortiert hat, und er sagte, er könne Bücher nicht wegwerfen.

Mit den ganzen Büchern war die Wohnung nun tatsächlich seine Wohnung. Seine Geschichte spiegelte sich im Bild der Bücher von früher. Er sagte, er würde so gern mal wieder den „Arbeiterkampf“ lesen. Ich sagte, den „Arbeiterkampf“ gibt es seit 1992 nicht mehr. Unter dem Balkon huschten Ratten umher. Detlef Kuhlbrodt