Kronzeuge wird Verdächtiger

Ex-IS-Terrorist

Er hätte ein Vorzeige-Aussteiger aus dem dschihadistischen Kampf sein sollen und war Hoffnungsträger für die Sicherheitsbehörden: Der Bremer Syrien-Rückkehrer Harry S., der im vergangenen Jahr während seines Prozesses in Hamburg umfassend gegen die Mörderbanden der Terrormiliz „Islamischer Staat“ ausgesagt hatte. Doch nun wird dem 28-Jährigen selbst Mord vorgeworfen – als Mittäter in sechs Fällen.

Der Generalbundesanwalt hat S. diese Woche angeklagt. Undenkbar ist damit wohl, dass S. noch in Präventionsprogrammen mitwirken kann, um andere salafistische Jugendliche zu de-radikalisieren, wie es vor einem Jahr noch im Raum stand.

S. sitzt seit 2015 in Haft. Im Juli 2016 wurde er vom Hamburger Staatsschutzsenat unter anderem wegen Mitgliedschaft bei der IS-Terrormiliz zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt (taz berichtete). Beim Strafmaß profitierte er von der Kronzeugenregelung.

Schon während des Prozesses aber war klar: Über die Geschehnisse in Syrien gab es nur die eine, Harry S.s Version. Fahnder und Generalbundesanwalt konnten nur das Wenige gegenchecken, was sie wussten – und es deckte sich. S. soll an einem deutschsprachigen Propaganda-Video mitgewirkt haben, er habe sich zum Kämpfer ausbilden lassen, soll eine Kalaschnikow gehalten, aber nie abgedrückt haben. Auch, weil er bis dahin ungekannte Einblicke in das Innenleben der Terrormiliz gab, galt er für die Behörden als Glücksfall.

Doch nach der Verurteilung waren im Oktober 2016 neue Beweise aufgetaucht: Das ZDF und die Washington Post verbreiteten ein Video, das zeigen soll, wie Harry S. 2015 in Palmyra an der Hinrichtung von fünf syrischen Armeeangehörigen sowie eines sunnitischen Predigers beteiligt war: Er hält eine Pistole in der Hand und hindert die Gefangenen an der Flucht.

Das Video soll aus einer internen Quelle der IS-Terrormiliz stammen, den Medien womöglich auch zugespielt worden sein, um dem – in den Augen der Terroristen – Verräter Harry S. zu schaden. Gleichwohl stützt der Generalbundesanwalt darauf nun seine neue Anklage.

Ob ein hinreichender Tatverdacht gegeben ist und ein weiteres Verfahren eröffnet wird, entscheidet das Gericht nach einer Stellungnahme der Verteidigung. jpb