Hungerstreik für weniger Migranten

Italien Die Front der Kommunen, die sich der Aufnahme von Flüchtlingen und Einwanderern verweigern, wird immer breiter

ROM taz | „Wir sind absolut nicht bereit, weitere sogenannte Asylbewerber aufzunehmen.“ Simone Dall’Orto, Bürgermeister des 10.000-Einwohner-Städtchens Traversetolo in der norditalienischen Provinz Parma, gibt sich kompromisslos. Eigentlich müsste seine Gemeinde so wie alle anderen nach dem von der Regierung festgelegten Verteilungsschlüssel 4,1 Flüchtlinge pro 1.000 Einwohner aufnehmen; davon aber will Dall’Orto nichts wissen.

Bei ihm überrascht das nicht weiter, schließlich gehört er zur rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega Nord, die schon seit Jahren rabiate Vorschläge zur Migrantenabwehr wie den Beschuss von Flüchtlingsbooten lanciert. Doch die Front der Kommunen, die sich der Aufnahme von Flüchtlingen und Einwanderern verweigern, wird immer breiter.

So drohte vor zwei Wochen Giovanni Corbo, Bürgermeister des lombardischen Nests Besnate, mit einem Hungerstreik, weil dort 32 Flüchtlinge untergebracht wurden – und verlangte, deren Zahl zu halbieren. Und Corbo ist nicht Mitglied der Lega Nord, sondern der gemäßigt linken Partito Democratico, die ihn Rom sowohl den Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni als auch den für die Flüchtlingsverteilung zuständigen Innenminister stellt. Und auf Sizilien führte ein Bürgermeister gar die Sitzblockade aufgebrachter Bürger vor einem Flüchtlingsheim an.

Vom hohen Norden bis zum tiefen Süden ziehen solche Proteste immer weitere Kreise, und mittlerweile schreiben auch seriöse Zeitungen wie der Corriere della Sera von der Gefahr, Italien könne zu einem „gigantischen Calais“ werden. Außenminister Angelino Alfano will nicht zulassen, dass das Land zum „Hotspot Europas“ – sprich zu dessen Flüchtlingsaufnahmelager – werde.

Italien ist mit der Tatsache konfrontiert, dass mehr Flüchtlinge und Migranten denn je eintreffen, dass aber immer weniger in andere EU-Länder weiterziehen können. Bis zum 19. Juli 2017 wurden gut 93.000 Menschen gezählt, die auf dem Seeweg nach Italien gelangt waren – rund 10.000 mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum, der mit insgesamt 180.000 Flüchtlingen bereits alle bisherigen Rekorde gebrochen hatte. Ähnliche Zahlen hatte das Land auch 2014 erreicht, als 170.000 Menschen kamen.

Von denen aber stellten nur 64.000 in Italien einen Antrag auf Asyl oder humanitären Schutz, der große Rest zog weiter Richtung Deutschland, Schweden oder Frankreich. Doch die seit 2015 deutlich engmaschigeren Kontrollen an den Grenzen ebenso wie die mittlerweile fast lückenlose Erfassung der Flüchtlinge in den italienischen Hotspots haben diese Möglichkeit drastisch reduziert.

Italien setzte im Gegenzug darauf, dass andere EU-Staaten im Zuge der Umverteilung Flüchtlinge übernehmen würden – doch bisher wurden auf diesem Wege nur gut 7.000 Personen in andere Länder gebracht. Deshalb will Italiens Regierung jetzt einerseits Libyens Küstenwache aufrüsten und den NGOs ihre Arbeit im Mittelmeer erschweren; andererseits erhöht es mit der Drohung, den einmal eingetroffen Flüchtlingen europaweit gültige Visa auszustellen, den Druck auf die anderen EU-Staaten. Michael Braun