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Geld oder Gefängnis

KLASSENJUSTIZ Arme Menschen müssen oft eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen. Zahlreiche Organisationen buhlen um Geldstrafen

Bundesweit verhängen Gerichte jährlich mehr als 500.000 Geldstrafen. Die Höhe richtet sich nach der finanziellen Situation der Betroffenen. Meist geht es um eine Geldstrafe zwischen 300 und 2.000 Euro, etwa wegen Schwarzfahrens oder eines Ladendiebstahls. Doch arme Menschen können diese Summen häufig nicht zahlen – Experten schätzen, dass in Deutschland rund 50.000 Personen pro Jahr ins Gefängnis müssen, obwohl sie dazu gar nicht verurteilt wurden. Sie sitzen eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe ab, die im Schnitt vier Wochen dauert. Wer dadurch Arbeit oder Wohnung verliert, dem droht der soziale Absturz.

„Der Tagessatz wird manchmal zu hoch angesetzt, weil dem Gericht die Geldverhältnisse des Verurteilten nicht bekannt sind oder weil sich kurzfristig etwas in seiner Lebenssituation geändert hat“, sagt der Sozialarbeiter Burkhard Teschner, Leiter der Gefährdetenhilfe beim Diakonischen Werk Osnabrück. Die Gefährdetenhilfe ist eine von 14 Anlaufstellen zwischen Wilhelmshaven und Göttingen, die mit dem Projekt „Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen“ die drohende Haft abwenden wollen. „2016 haben wir in Niedersachsen fast 2.000 Menschen beraten. Meist konnten wir Ratenzahlungen erreichen, die für die Betroffenen machbar sind. Die Geldstrafe soll innerhalb von zwei Jahren bezahlt werden, aber manchmal ist auch ein längerer Zeitraum möglich“, sagt Teschner.

Mehr als 500.000 Euro konnten 2016 so an Geldstrafen gezahlt und damit fast 30.000 Hafttage vermieden werden. Bei Kosten von fast 150 Euro pro Tag im Gefängnis spart Niedersachsen auf diesem Wege eine Menge Geld. Seit 2010 läuft das Projekt, durch das laut Teschner mehr als 90 Prozent der Teilnehmenden nicht im Gefängnis landeten. Die meisten Betroffenen finden allerdings nicht den Weg in die Beratungsstellen – in Niedersachsen sind immer noch 450 Haftplätze ständig durch die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen belegt.

Eine andere Möglichkeit, seine Geldstrafe abzustottern, ist die Ableistung von gemeinnütziger Arbeit, etwa in Krankenhäusern oder Altersheimen. Dabei gibt es im Norden deutliche Unterschiede. „In Schleswig-Holstein organisieren freie Träger wie die AWO oder die Diakonie die Vermittlung. Sie bringen viel mehr Menschen in gemeinnützige Arbeit als in Hamburg, wo die staatliche Gerichtshilfe zuständig ist und das Verfahren sehr bürokratisiert abläuft“, kritisiert der Kriminologe Bernd Maelicke, Gründungsdirektor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft in Kiel. Die Justizministerkonferenz hat eine Arbeitsgruppe gebildet, die die Neugestaltung und Abwendung der Ersatzfreiheitsstrafe bis 2018 prüfen soll. Die Abschaffung wäre aber nur möglich, wenn der Bund seine Gesetze ändert. In einigen skandinavischen Ländern und den Niederlanden ist es üblich, dass Gerichte Straftäter zu gemeinnütziger Arbeit verurteilen – in Deutschland ist dies noch ein Tabu. „Jede Innovation ist gut, die dazu führt, dass Menschen nicht mehr in das Gefängnis kommen, die ambulant besser resozialisiert werden können“, sagt Maelicke.

Wer bekommt die 5,4 Millionen Euro, die allein das Land Niedersachsen 2016 an Geldstrafen weitergeleitet hat? Gemeinnützige Einrichtungen, die von den Zuweisungen profitieren wollen, müssen sich beim Oberlandesgericht Oldenburg anmelden. Letztlich entscheidet immer der einzelne Richter oder Staatsanwalt, an wen das Geld fließt – meist erhalten es Einrichtungen der Straffälligenhilfe, der Jugendhilfe, Behinderten-Einrichtungen, kirchliche Organisationen, Vereine für Verkehrserziehung oder Suchthilfestellen.

Nach den gerade veröffentlichten Zahlen war im vergangenen Jahr das Kinderhospiz Löwenherz in Syke mit 204.000 Euro der größte Empfänger. Es folgen der Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr mit 129.000 Euro und der Verein „Wege ohne Gewalt Göttingen“ mit 118.000 Euro. Seit 2015 veröffentlicht das niedersächsische Justizministerium auf seiner Internetseite sämtliche Zahlungen.

„Eine offene Kommunikation der Entscheidungsprozesse beugt Missverständnissen vor und stärkt das Ansehen der Justiz“, begründet Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz dieses Verfahren. Hintergrund ist die Kritik an der Verteilung: Manche Gerichte hätten in der Vergangenheit keine Rechenschaft über die Verwendung der Gelder abgelegt, Richter ihnen persönlich verbundene Organisationen bevorzugt und große Einrichtungen ein professionelles Bußgeldmarketing auf Kosten kleinerer Vereine betrieben.

Hamburg geht einen anderen Weg. Dort gibt es einen Sammelfonds für Bußgelder. Gerichte und Staatsanwaltschaften können den verschiedenen Fonds-Fördergebieten Geldstrafen zuweisen. Ein Gremium aus Mitarbeitern der Justiz und anderen Behörden entscheidet über die Vergabe der Fondsmittel und veröffentlicht die Zahlen – so soll eine Bevorzugung ausgeschlossen werden. Richter und Staatsanwälte haben weiterhin das Recht, direkt gemeinnützigen Einrichtungen ihrer Wahl Bußgelder zukommen zu lassen. Dies passiert allerdings eher selten: Von den 2,9 Millionen Euro, die die Hamburger Justiz im Jahr 2015 an Geldauflagen erhoben hat, wurden nur 89.000 Euro als Direktzuweisung weitergeleitet. Joachim Göres