Demoskopen geknickt

Die Institute erklären ihre ungenaue Vorhersage und ignorieren die heftige Kritik von Bundeskanzler Schröder

BERLIN taz ■ Nicht nur viele Wähler, auch die Meinungsforscher wurden vom Ergebnis der Wahl überrascht. Sie hatten noch in den letzten Umfragen 40 Prozent und mehr für die Union prognostiziert. „So eine Abweichung ist ein absolutes Novum in der Geschichte der Bundesrepublik“, sagte die Chefin des Allensbach-Instituts, Renate Köcher, gestern auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Meinungsforschungsinstitute in Berlin. „Bisher hatten wir Abweichungen von maximal 1,9 Prozent.“ Über die heftige Kritik an den Demoskopie-Instituten, die Schröder am Wahlabend äußerte, verlor man jedoch kein Wort.

So richtig erklären können sich die Meinungsforscher ihre Fehlprognosen nicht. Offenbar habe man die Stimmung vor der Wahl nicht richtig eingeschätzt, gaben die Demoskopen einmütig zu. Man habe es insgesamt mit einem veränderten Wählerverhalten zu tun. „Die Bindung an die großen Parteien hat nachgelassen und es gibt mehr wechselbereite Wähler“, erklärte Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen. „Dieses Jahr haben außerdem koalitionstaktische Überlegungen eine große Rolle gespielt.“

Der Schuss ging jedoch, zumindest bei vielen FDP-Wählern, nach hinten los. „Um eine große Koalition zu verhindern haben sehr viele klassische Unionswähler diesmal die FDP gewählt“, zeige die Analyse der Wählerströme, so Richard Hilmer von Infratest dimap. Und damit der Union ein desaströses Ergebnis beschert. Zudem habe die Union viele Stimmen an die Nichtwähler verloren, vor allem in Bayern. „Im Vergleich zu den Bundestagswahlen 2002 konnte die Union dort 800.000 Stimmen weniger mobilisieren“, bestätigte Forsa-Chef Manfred Güllner. Die Nichtwähler seien durch die innerparteilichen Diskussionen der letzten Wochen stark verunsichert worden. „Die Verunsicherung hat einen Namen: Steuerpolitik“, so Hilmer.

Gerhard Schröder gelang es, diese Verunsicherung zu nutzen. „Bei den Wählern ist vom Steuerkonzept der Union nur die Erhöhung der Mehrwertsteuer angekommen, nicht die Senkung der Lohnnebenkosten. Das kam wie ein Bumerang zurück“, erklärt Matthias Jung.

Als auffallend hoch bewerteten die Demoskopen die Differenz zwischen Parteien- und Kanzlerpräferenz. Die Spitzenkandidaten hätten einen großen Einfluss auf die Entscheidung der Wähler gehabt, glaubt Güllner. Dies hätte der Stimmungsumschwung nach dem TV-Duell bewiesen. Nach Schröders Auftritt habe die SPD im Lager der Unentschlossenen noch 4 Millionen Stimmen geholt. „Für 70 Prozent der Befragten sind die Informationen im Fernsehen am wichtigsten“, so Güllner.

Gerade die hohe Zahl unentschlossener Wähler habe zu den ungenauen Umfragewerten geführt, waren sich die Meinungsforscher einig. 29 Prozent der Wähler haben in Umfragen angegeben, sich erst wenige Tage vor der Wahl oder am Wahltag selbst zu entscheiden, wo sie ihr Kreuz machen. Bei der vorherigen Wahl waren es nur 17 Prozent gewesen.

Die Kurzentschlossenen haben vor allem nach taktischen, nicht nach programmatischen Gesichtspunkten gewählt, glaubt Renate Köcher. „Es wird kurzfristiger und strategischer gewählt und es gab noch nie so viel Stimmensplitting.“ Die Wähler hätten Schwierigkeiten, sich positiv für eine Partei zu entscheiden, beklagte die Allensbach-Direktorin. Viele Wähler hätten daher Erst- und Zweitstimme an unterschiedliche Parteien vergeben. Nur bei der Linkspartei gab es kein Stimmensplitting. „Durch sie hat das linke Spektrum eine neue Qualität erhalten.“

Bei aller Kritik an den ungenauen Umfragewerten konnte zumindest Forsa einen Erfolg vorweisen. „Wir haben das Ergebnis der SPD sehr genau bei 33 bis 34 Prozent vorhergesagt“, sagte Güllner. „Nur hat uns das vorher niemand geglaubt.“

SARAH MERSCH