Berlinmusik
: Séance mit Anika

Sie ist die politische Journalistin, die ins musikalische Fach wechselte. Die Dunkle, Mysteriöse, Enigmatische. Und sie galt schon als Nico des neuen Jahrhunderts. Die Rede ist von Annika Henderson, die sich als Künstlerin nur Anika – mit einem ‚n‘ – nennt. Zu den spannendsten Erscheinungen der Berliner Musikszene gehört die 30-Jährige ganz sicher. 2010 reüssierte die britische Wahlberlinerin mit einem dubbig-düsteren Debüt, und seither taucht sie in den unterschiedlichsten Kontexten aus, zuletzt mit der eigenen Band Exploded View.

Nun hat sie sich mit Landsmann Sam Shackleton zusammengetan, der in der elektronischen Musikszene kein Unbekannter ist und seine Alben auf dem Londoner Label Honest Jon’s Records veröffentlicht hat. „Behind the Glass“ heißt das jüngst erschienene Kollabora­tionswerk der beiden. Man könnte diese eine Stunde und vier Minuten Musik als musikalischen Essay bezeichnen, aber dann hätte man Sorge, dass das Duo Shackleton/Anika in die Experiment-Schublade gepackt und nicht ausreichend gewürdigt würde. Das wäre allein deshalb schade, weil man so eigenständige und abwechslungsreiche Musik nicht so oft hört.

Die Klänge zu beschreiben ist gar nicht so einfach: Da sind halb gesprochene, halb gesungene Verse von Anika, die sich über die Musik legen, ehe die Sängerin dann kurz darauf minutenlang pausiert und Shackleton das Feld überlässt. In den Sounds, die dieser dazu kreiert, finden sich viele Stile: Trance und Ambient, experimentelle Synthesizer-Klänge und afrikanische Rhythmen, Drone und Krautrock. Mit der düsteren, geisterhaften Stimme Anikas ergänzt sich das perfekt, das Ganze bekommt einen interessant klingenden spiritualistischen Touch. Insofern könnte man „Behind the Glass“ vielleicht am ehesten als musikalische Séance bezeichnen.

Im Laufe der Beschwörung horcht der deutschsprachige Hörer spätestens dann auf, als Anika plötzlich auf Deutsch singt, und zwar in „Hinter der Vitrine“ – es soll bei diesen wenigen deutschen Worten bleiben, sie switcht schnell wieder ins Englische, und natürlich bleibt alles höchst geheimnisvoll, sagenumwoben und magisch, wofür dieser Ort „hinter der beleuchteten Vitrine“ steht. Alles in allem kein leichter Stoff, den Anika und Shackleton uns hier servieren, aber wer dranbleibt, wird belohnt. Und vielleicht sogar erleuchtet. Jens Uthoff

Shackleton with Anika: „Behind the Glass“ (Woe To The Septic Heart!/Hones Jon’s), live beim Berlin Atonal, 19. August, 21.40 Uhr, Kraftwerk, Berlin